Montag, 1. Dezember 2014

Verschwendung von Lebenszeit

Mein Vorstellungsgespräch vorhin könnte man wirklich als Verschwendung von Lebenszeit bezeichnen. Es hat zwar nur 20 Minuten gedauert, was ja nicht wirklich lang ist, aber diese 20 Minuten hätte ich mir auch schenken können. Wenn er doch schon vorher der Auffassung war, dass ich überqualifiziert bin, weil ich bis dato so viele anspruchsvolle Tätigkeiten im Sekretariat gemacht habe, dann hätte er mich doch gar nicht einladen müssen, ganz einfach.

Vor allem: Der Herr ist wie ich Dipl.-Päd. und ein essentieller Bestandteil des erziehungswissenschaftlichen Studiums ist u. a. Gesprächsführungstechnik. Na ja, in den Seminaren hat er dann offenbar gefehlt :o), denn so wenig wie in dem Vorstellungsgespräch vorhin hat noch kein anderer Arbeitgeber gesprochen. Die Konversation beschränkte sich auf "Ja...hmmm...Sie waren ja auch bei einem Energiekonzern und haben da Stahl verkauft" (hä?). Ich war zwar über einen Personaldienstleister zwar mal bei einem großen Energiekonzern, aber mit Stahl habe ich da in meiner Abteilung nicht gehandelt, hihi. In Herne war ich mal in der Kunststoffdistribution tätig, aber Kunststoff ist ja auch kein Stahl und der Energiekonzern hatte seinen Sitz in Essen und nicht in Herne. Das Gespräch plätscherte jedenfalls belanglos dahin, und das habe ich selten bei Vorstellungsgesprächen von Arbeitgeberseite erlebt.

Und wenn er schon der Meinung war, dass wir gehaltlich nicht zusammen finden, weil ich ja so dermaßen überqualifiziert bin, hätten wir uns diese Verschwendung von Lebenszeit auch schenken können. Mir ist zwar klar, dass ich in Teilzeit nicht das verdiene wie bei einer Vollzeitstelle, aber Untergrenzen gibt es auch da - egal, ob ich es mit Nachhilfeschülern, Kunststoffdistribution oder Stahl zu tun habe, haha.

Abgesehen davon, dass ich so einen Hals habe angesichts dieses wenig produktiven Gesprächs, frage ich mich auch, welcher Arbeitgeber mich denn dann überhaupt einstellt, wenn ich doch für alles und jedes angeblich überqualifiziert bin. Ich gehe dann wohl nächstens in Hartz IV, trotz überdurchschnittlicher Qualifikation, und das kotzt mich gelinde gesagt an - genau wie die Lügen von Politik und Wirtschaft.

Ebenso wie diese Lügen kotzt mich auch das Gelaber einiger Gutmenschen an, die meinen, ich sollte doch für 3 EUR/Std. arbeiten gehen - Hauptsache, nicht Hartz IV. Vom gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR haben diese Labertaschen wohl auch noch nix gehört und wenn ich allen Ernstes für 3 EUR/Std. arbeiten gehen würde, müsste ich gezwungenermaßen Hartz IV dazu beantragen, haha. Das passiert, wenn Klischeewiderkäuer und Gutmenschen im Mathe-Unterricht offenbar gefehlt haben :o). 3 EUR Stundenlohn ergäben bei 170 Arbeitsstunden im Monat ein Bruttogehalt von  510 EUR, da bliebe mir dann auch trotz Vollbeschäftigung nix anderes als Hartz IV zusätzlich. Vor allem geht die Spirale ja irgendwann auch immer weiter abwärts: Wenn ein Arbeitnehmer sich breit schlagen lässt, für 7 EUR/Std. arbeiten zu gehen, kommt der nächste Arbeitgeber und sagt: "Wenn Sie doch beim letzten Mal für 7 EUR arbeiten gegangen sind, reichen doch jetzt wohl auch 6,50 EUR..." und so weiter. Solchen Gutmenschen, die von nix Ahnung haben aber immer ihr Maul so weit aufreißen mit lebenspraktischen Tipps für andere, möchte ich dann raten, selbst für 3 EUR/Std. arbeiten zu gehen, damit sie beweisen können, wie gut man davon leben kann - ach nee, für sie selbst wäre das ja keine Alternative, aber andere dürfen dann für nen Dumping-Lohn arbeiten gehen? Nein, danke!

Ich verlange bestimmt keine 4.000 EUR brutto im Monat, aber es sollte angesichts meiner Qualifikation und Berufserfahrung schon deutlich über 2.000 EUR liegen bei einer Vollzeitstelle. Es kann nämlich nicht angehen, dass Deutschland, das ja angeblich so reich ist (oh ja, vielfach leider an Klischee-Widerkäuern, Politik- und Medienhörigen, Gutmenschen, Moralaposteln und ähnlichen Herrschaften), zum Billiglohnland mutiert - egal, ob für Anlernkräfte oder gut ausgebildete Fachkräfte. Wenn ich natürlich für 6.000 EUR brutto im Monat in meinen fetten Sessel furze, kann ich natürlich auch von anderen verlangen, dass sie gerade mal ein Zehntel dessen für ihre Arbeit bekommen, was ich selbst verdiene.

+Sonne Highlight schrieb in ihrem Kommentar zu meinem Kurz-Eintrag von vorhin, dass das wohl die typisch deutschen Arbeitgeber sind, die gar nicht so gut qualifizierte Kräfte wollen, weil sie denen zuviel zahlen müssen und dann sind Arbeitnehmer ab einem bestimmten Alter ja auch nicht mehr so form- und schleifbar wie viele jüngere Menschen. Da kann ich ihr nur Recht geben bzw. habe ihr auch Recht gegeben. Auf jeden Fall stellen sich viele deutsche Arbeitgeber mit ihrer komischen Behandlung von Bewerbern (Einladungen von gut qualifizierten Kandidaten nur zur eigenen Belustigung, keine Antworten auf Bewerbungen oder unflätige Absagen nach Monaten etc.) ein echtes Armutszeugnis mit ihrem nicht vorhandenen Sozialverhalten aus. Dann soll aber auch bitte kein Arbeitgeber mehr medienwirksam rumheulen, dass seine eigenen Angestellten nur mittelmäßig bis schlecht sind - Ihr habt die zu fragwürdigen Konditionen eingestellt und solltet Euch dann besser nicht wundern, wenn Ihr für Dumping-Löhne auch nur den letzten Schrott an Arbeitnehmern bekommt, der es mit Kundenorientierung, Kassenführung und Kenntnissen nicht so genau nimmt.

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