Mittwoch, 14. Dezember 2011

Denken ist Glückssache - vor allem bei Ökonomen im Gesundheitswesen

Marina stieß mich mit der Nase darauf, dass im Gespräch ist, künftig 5 Euro pro Arztbesuch - also nicht mehr wie derzeit 10 Euro Praxisgebühr pro Quartal - zu kassieren und hat sich darüber natürlich entsprechend aufgeregt. Ich hab dann mal recherchiert und da gibt es direkt drei Herrschaften, die auch für diese Regelung sind - ein Gesundheitsexperte aus Duisburg (irgendwie ist dem wohl nicht so ganz bewusst, dass bei ihm in der Stadt die Arbeitlosenzahlen besonders hoch sind und viele Einwohner nicht gerade über Reichtümer verfügen), ein Sozialexperte (sozial???) aus Kiel und noch der Chef der Techniker-Krankenkasse. Klar, wenn ich ein Nettoeinkommen von ungefähr 2.000 bis 3.000 Euro habe, kann ich mir auch 100 Arztbesuche im Quartal leisten, haha. Das ist mal wieder komplett an der Ottonormalbürgerschaft und an Leuten, die unverschuldet in Not geraten bzw. krank geworden sind, vorbei gedacht.

Angeblich ist das jetzige Modell der Praxisgebühr daran gescheitert, dass die Leute immer noch soviel zum Arzt rennen. Hm, es mag ja Menschen geben, die Wartezimmer-, Arzt-, Notaufnahme- und Krankenhaus-Hopping als Hobby haben, weil sie sonst nix mit sich und ihrer Zeit anzufangen wissen, aber in der Regel gehen die meisten Leute zum Arzt, weil ihnen wirklich irgendetwas fehlt. Ich bin weiß Gott kein Freund von Arztbesuchen, aber bei meiner chronischen Erkrankung ist das leider manchmal unumgänglich, zumal mir auch ggf. noch entsprechende Sanktionen drohen würden, wenn ich mich an bestimmte Kontrolltermine nicht halten würde - egal, ob es mein Termin in der Rheumaambulanz in Werden ist oder die quartalsweise fällige ärztliche Kontrolle meiner Blutgerinnung, denn auch wenn ich erfolgreich meinen INR selbst bestimme, muss ein Arzt das mindestens einmal im Quartal überprüfen. Bei mir hält es sich aber trotz allem noch mit den Arztbesuchen in Grenzen, aber es gibt auch Menschen, die unfreiwillig auf noch häufigere Arztbesuche und Kontrollen angewiesen sind - und wenn da plötzlich was Akutes bei mir auftritt, kann mir das genauso gehen. Was ist denn mit den ganzen Arbeitslosen und Hartz IV-Empfängern? Rentnern mit geringer Rente trotz lebenslanger Erwerbstätigkeit? Studierenden? Familien mit Kindern? Alleinerziehenden? Wo sollen die denn jeden Monat die Kohle für eventuell häufiger notwendige Arztbesuche her nehmen? Oder sollen jetzt ganz subtil die Pläne von Herrn Missfelder (CDU) zum "sozial verträglichen Ableben" umgesetzt werden - wer die Kohle nicht hat, sich regelmäßig nen Arzt zu leisten, soll eben halt abnippeln? Sowohl die CDU als auch dieser Kieler Sozialexperte sollen die Zusätze "Christlich" und "Sozial" mal ganz schnell aus ihren Partei- bzw. Berufsbezeichnungen streichen. Und die Techniker-Krankenkasse scheint wohl nicht auf Kunden angewiesen zu sein, denn unter deren Klientel sind ja sicherlich nicht nur gut verdienende Ingenieure, sondern auch normal verdienende Fach- und Hilfsarbeiter.

Da werden sicherlich viele Menschen, obwohl sie schwere Krankheitssymptome zeigen, die sie dauerhaft schwer im Alltag einschränken oder sogar auf ne lebensbedrohliche Erkrankung hinweisen können, auf Arztbesuche verzichten, wenn sie sich keine ständigen Arztbesuche leisten können - damit wird dann wohl schon mal die Bevölkerung an sich dezimiert (sozial verträgliches Ableben eben), vor allem, wenn es schwere Krankheiten sind, und dann heulen die niedergelassenen Mediziner wieder los, weil sie weniger verdienen - wenn niemand zu ihnen kommt, gibt's auch keine Kohle.

Fünf Euro hört sich ja auf den ersten Blick nicht gerade nach der Welt an, aber für Bedürftige können fünf Euro im Budget schon ne Menge ausmachen. Wenn ich aber mit nem Nettoeinkommen von mehr als 2.000 Euro pro Monat in meinen Sessel furze, kann ich auch große Reden schwingen.

Vor allem besteht bei einem derartigen System auch die Gefahr des Missbrauchs durch geldgeile Ärzte. Angenommen, ein 40-jähriger Patient lässt seinen jährlichen Check-up machen, aber wie durch ein Wunder steht plötzlich niemand zur Verfügung, der demjenigen Blut abnehmen kann: Dann werden fünf Euro für den Check fällig, fünf Euro zur Besprechung der Ergebnisse, die ja oft auch nicht sofort zur Verfügung stehen bei bestimmten Untersuchungen, weitere fünf Euro für die Blutabnahme wegen neuem Termin und dann weitere fünf Euro zur Besprechung der Blutergebnisse - ja, so kann man auch reich werden.

Deutschland soll mal nicht soviel in andere Länder schielen und sich über deren Menschenrechtsverletzungen, politischen Systeme usw. echauffieren, unsere Volksverräter sollen erst mal im eigenen Land anfangen, bevor sie über andere Staaten meckern. Oder sollen die 5 Euro Gebühr pro Arztbesuch etwa gar nicht fürs Gesundheitswesen verwendet werden, sondern für den Euro-Rettungsschirm, damit Merkozy seine/ihre Visionen verwirklichen kann? Was in ihrem eigenen Land passiert, kriegt unsere Kanzlerin schon lange nicht mehr mit - deshalb sollen die Politiker auch nicht alle so pseudobetroffen tun angesichts mancher Länder, in denen die Schere zwischen Arm und Reich sehr weit auseinander klafft, denn hier sind wir auch auf dem besten Weg dahin. Ich kann mich zwar mit meinem derzeitigen Nettoeinkommen von über 1.600 Euro monatlich sicherlich auch nicht beschweren, aber es geht einfach ums Prinzip und um die Menschen, denen es unverschuldet nicht so gut geht - kaum jemand sucht sich freiwillig Arbeitslosigkeit und geringe Renten aus, denn daran tragen sowohl Politiker als auch die Wirtschaft Schuld. Und selbst ein gut verdienender Mensch kann durch eine Verkettung unglücklicher Umstände unverschuldet in Not geraten, deshalb soll sich da auch niemand aufs hohe Pferd setzen.

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