Mittwoch, 21. Januar 2015

Manchmal wäre es ratsam, erstmal vor der eigenen Haustür zu kehren...

+Sven Krämer postete gestern Abend einen Beitrag bzw. Artikel unter Google +, der sich auf die moralische Verurteilung vieler Deutscher in Bezug auf andere Nationen bezog - egal, ob es nun um die Sanktionen gegen Russland, die im Jahr 2022 anstehende WM in Qatar oder was auch immer geht. Allerdings hoffe ich nicht, wie ich auch in meinem Kommentar gepostet hatte, dass es demnächst in der BRD auch noch ein Moralministerium gibt, das uns genau vorschreibt, was wir gut zu finden haben und was nicht.

Natürlich finde auch ich es nicht gut, dass Arbeiter beim Stadionbau in Qatar vielfach ausgebeutet werden - das steht außer Frage! Da schreien die Deutschen dann plötzlich ganz laut, aber Ausbeutung vieler Arbeitskräfte findet leider auch hierzulande statt, wenn auch vielleicht nicht ganz so extrem wie in Qatar. Manche Firmen heulen ja schon rum, weil sie jetzt den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR/Std. zahlen müssen - sorry, wenn ich als Firmeninhaber nicht das Geld habe, meine Angestellten angemessen zu entlohnen, sollte ich mich vielleicht nicht selbstständig machen anstatt in den Medien einen auf Mitleid zu machen, weil manche ihre Angestellten jetzt nicht mehr zu einem Hungerlohn ausbeuten können, wie z. B. dieser selbstmitleidige Hotelbesitzer in Mecklenburg-Vorpommern, der da neulich im WDR über den Bildschirm flimmerte. Auch das ist eine Form von Ausbeutung, wenn ich der Überzeugung bin, ich kann mein Zimmermädchen, das manchmal auch die Schmierereien von schlecht erzogenenen Gästen im Bad/WC beseitigen muss, mit 6,50 EUR pro Stunde abspeisen - nee, da wird dann aber lieber ans andere Ende der Welt geschielt anstatt sich erstmal um die Ausbeutung von einheimischen Arbeitskräften zu kümmern. Auch ein Zimmermädchen hat Anspruch auf eine angemessene Entlohnung, auch wenn sie für ihre Tätigkeit kein Studium braucht, denn ohne Zimmermädchen sähe einiges in Hotels/Pensionen nicht mehr so wohnlich aus. Das ist auch eine Frage des Respekts gegenüber Dritten - nicht nur Studierte sind wertvoll, sondern auch die sog. Hilfskräfte, auch wenn manche Besserdeutsche ohne Benehmen und Sozialverhalten das anders sehen mögen.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem vielfach geheuchelten Entsetzen, wenn in Indien, Bangladesch oder sonstwo auf der Welt Näher/-innen, die für ein paar Cent am Tag Billigklamotten für die Industrieländer herstellen, in Textilfabriken ohne Brandschutz und anderen Sicherheitsvorkehrungen ums Leben kommen. Das Entsetzen und die Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen für die Näher in den Entwicklungs- und Schwellenländern machen aber keinen Sinn, wenn es noch genug Dummbratzen gibt, die auch noch ganz stolz mit dümmlich-arrogantem Gesichtsausdruck mit sechs Tüten bei Primark, H & M oder KiK raus kommen - und dann wird sich nachher gewundert, warum man das vermeintliche Schnäppchen, das auf Kosten Dritter entstanden ist, spätestens nach der zweiten Maschinenwäsche ohnehin in die Tonne muss, weil eingelaufen, total aus der Form oder was auch immer. Solche Billigketten haben auch nur Erfolg, weil es in Deutschland genug gedankenlose Menschen gibt, die in ihrer Gedankenlosigkeit auch noch Ausbeutern in die Hände spielen, so nach dem Motto "Bangladesch ist weit weg, was geht es mich an, wenn dort eine Näherin 16 Stunden am Tag unter erbämlichsten Bedingungen und zu einem Hungerlohn schuften muss?!". Die Ausbeutung von Arbeitern in Bangladesch, Indien oder sonstwo ist einfach scheiße, aber wenn das noch in Deutschland unterstützt wird, indem noch viel zu viele Leute in Billigläden einkaufen, dann läuft aber nicht nur in den Entwicklungsländern etwas falsch, sondern auch hierzulande, auch wenn manche denken mögen "Wenn ich das Problem nicht sehe, sieht mich das Problem auch nicht."

Wenn man das alles nur beispielhaft betrachtet, ist es wirklich empfehlenswert, dass sich die Leute erstmal um die Missstände hierzulande kümmern sollten anstatt immer nur in anderen Ländern zu gucken, was dort nicht richtig läuft. Dass einiges in anderen Ländern entschieden falsch läuft, stelle ich gar nicht in Abrede, aber manchmal wäre es doch ganz gut, erstmal hierzulande gucken, denn wir leben hier in Deutschland und nicht in Qatar, im Irak oder Indien - und da wäre es auch ganz schön, nicht immer ins Ausland zu schauen, sondern auch mal zu gucken, was hier eigentlich alles schief läuft: Ersatz von Fachkräften durch Hilfs- oder Anlernkräfte (z. B. im Pflegesektor - Hermann Gröhe sei Dank), Hartz IV, Ersatz von Festangestellten durch günstigere Leiharbeiter, nicht vorhandene Sozialpolitik, der Umgang mit Pflegebedürftigen, Hofierung der Reichen etc. Das ist nämlich mindestens genauso wichtig wie die Probleme in anderen Ländern, aber wenn viele erstmal woanders hinschauen, sind sie ja auch nicht gezwungen, sich mit den Missständen hierzulande auseinanderzusetzen, was für viele ja auch bequemer ist. 

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