Freitag, 3. Februar 2012

Es ist Winter - dann ist es auch nicht in Ordnung

Derzeit hat eine Kältewelle aus Sibirien ja ganz Europa im Griff, wobei das Tragischste daran ist, wenn Menschen erfrieren. Das scheint aber für die Medien eher Nebenkriegsschauplatz zu sein, dass der strenge Frost in ganz Europa für eine Reihe von Todesfällen sorgt - nein, im Vordergrund stehen lediglich die eisigen Temperaturen und die Tatsache, dass einige Wasserstraßen zufrieren bzw. von Eisbrechern frei gehalten werden müssen. Komisch, früher nannte man sowas Winter, heute wird da ein Geschiss drum gemacht, als wenn strenger Frost hier zum ersten Mal seit 300 Jahren vorkommt. Letztes Jahr, als über Deutschland wirklich richtig viel Schnee niederging, gab es ja sogar eine Reihe von Sondersendungen zum Schnee. Hm, wenn ich mit Leuten spreche, die heute älter als 60 sind, erzählen die mir stets, dass solche Winter früher, als sie jung oder sogar noch Kinder waren, normal waren, aber heute scheinen Winterphänomene ja so exklusiv zu sein wie eine Sonnenfinsternis. Bis vor einer Woche jedoch wurde wiederum genörgelt, dass der Winter 2011/2012 eigentlich viel zu warm sei. Ja, wat denn nu?! Erst mutet der Winter wie Frühling an, dann ist es nicht richtig, jetzt haben wir der Jahreszeit entsprechende Eiseskälte, teilweise auch mit Schnee (hier im Pott so gut wie gar nicht), und dann wird da auch ein Geschiss drum gemacht, als wenn das aber auch nicht in Ordnung ist.

Man muss gar nicht über 60 sein, um Erfahrungen mit strengen Wintern zu haben, 37 reicht da vollkommen aus. Als ich fast fünf Jahre alt war - also im Winter 1978/1979 - hatten wir auch eine längere Kälteperiode, teilweise auch mit Schnee. Auf dem Rhein-Herne-Kanal in Dellwig trieben etwa 40 cm dicke Eisschollen, sodass die Eisbrecher, die vom Essener Stadthafen in Bergeborbeck/Vogelheim ausrückten, vielfach Mühe hatten, den Kanal überhaupt frei zu halten. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass während meiner Kindheit und Jugend so ein mediales Theater um den Winter gemacht wurde, aber solche Naturphänomene lenken ja auch schön von den eigentlichen Problemen ab. Gestern Abend sah ich eher zufällig in "Monitor" in der ARD einen Beitrag, wie manche große Industriekonzerne die Festübernahme ihrer Leiharbeiter umgehen bzw. das Prinzip equal pay. Darüber werden aber keine Sondersendungen gebracht, stattdessen wird ein unangemessenes Geschiss um den Winter gemacht, der mal zu mild, mal zu kalt ist, um die Alzheimer-Erkrankung von Rudi Assauer (das ist zwar tragisch und tut mir für ihn persönlich auch leid, aber neben diesem prominenten Beispiel gibt es auch viele andere Menschen, die an Alzheimer leiden und da haben die Angehörigen oft genug mit Widrigkeiten aller Art zu kämpfen, wobei die Widrigkeiten nicht nur von der Erkrankung ihres Angehörigen selbst ausgehen), um die Trennung von Heidi Klum und Seal (auch das ist nicht schön, aber jeden Tag trennen sich auf der Welt auch viele andere Paare, die lediglich keinen Promi-Bonus haben), aber über die Ausbeutung vieler Arbeitnehmer durch Werkverträge und/oder Zeitarbeit, den ständig steigenden Druck, der viele Arbeitnehmer in den Vorruhestand zwingt, Dumping-Löhne, die Unsitte unserer Politiker, sich ständig zu bereichern und vollkommen an der Realität vorbei zu regieren, darüber gibt's dann keine Sondersendungen. Diese Missstände wären aber viel eher ne Sondersendung wert als der Winter, der einem Februar durchaus angemessen ist.

Keine Kommentare: