Donnerstag, 27. Oktober 2011

Warum viele Arbeitsuchende nicht zur Zeitarbeit möchten

Personaldienstleistern aller Art stehen die meisten Arbeitsuchenden grundsätzlich offen und positiv gegenüber, wobei es ja neben den klassischen Zeitarbeitsfirmen auch Personalvermittlungen/-beratungen gibt, die direkt an Unternehmen vermitteln. Natürlich gibt es auch Zeitarbeitsfirmen, die zur Festanstellung beim Kundenunternehmen vermitteln, aber die meisten haben was gegen Arbeitnehmerüberlassung, was anhand der Realität auch gut nachzuvollziehen ist:

  • wesentlich weniger Geld für die gleiche Arbeit wie die Festangestellten - rühmliche Ausnahmen bestätigen die Regel
  • Übernahme-Option oft lediglich Lockmittel und nicht wirklich ernsthaft vom Entleiher geplant
  • subtile Aufweichung des Kündigungsschutzes
  • oft noch nicht mal Antworten auf Bewerbungen und wenn, hört man nach dem Vorstellungsgespräch nie wieder was, auch wenn passende Vakanzen ausgeschrieben sind
  • moderne Ausbeutung/Sklaverei.
Auch ich wurde vor einigen Monaten von einem Zeitarbeitsunternehmen in Essen beim Vorstellungsgespräch gefragt, ob ich auch bereit wäre, für weniger zu arbeiten als ich derzeit verdiene. Das habe ich rundweg abgelehnt - ich verdiene zwar hier keinen Hungerlohn, aber auch kein Spitzengehalt - und das hätten manche Arbeitgeber gerne: Leiharbeiter, die zwar alles können, aber die sie jederzeit wieder los werden können und die wesentlich schlechter entlohnt werden als die Festangestellten. Und ein seriöser Arbeitgeber zahlt normalerweise auch vernünftig anstatt auf Ausbeutung zu setzen. Mir wurden vor Jahren mal für den Posten einer Vorstandssekretärin 7,67 € Stundenlohn angeboten, ohne Fahrtkostenzuschuss und Verpflegungsmehraufwendungen, was einem Bruttogehalt von ca. 1.288,56 Euro entsprochen hätte bei ner 40-Stunden-Woche - je nach Branche verdienen manche Arbeitnehmer das schon in Teilzeit brutto. In meinem damals noch bestehenden Arbeitsverhältnis habe ich weit mehr als das Doppelte dieses Betrages verdient und dieses Dumping-Angebot auch dankend abgelehnt. Als schwaches Gegenargument kam dann, dass das ja ein so renommiertes Unternehmen sei, aber dass es nicht bereit wäre, mehr zu zahlen. Dazu hab ich nur eins gesagt: Wenn die so renommiert sind, können die auch vernünftig bezahlen! Als Nächstes folgte dann ein Angebot als Empfangskraft in einem Krefelder Autohaus - für 8,31 Euro die Stunde, ebenfalls ohne Verpflegungsmehraufwendungen und Fahrtkostenzuschuss - Krefeld liegt ja auch direkt um die Ecke von Essen aus gesehen...brutto wäre ich damit bei 1.396,08 Euro gewesen. Danach hatte sich das Gespräch für mich erledigt - bitte jemanden mit akademischem Grad, damals sechs Jahren Berufserfahrung und Pendelbereitschaft, aber für nen Hungerlohn: nein, danke!

Ich bin bestimmt nicht der Verfechter der Theorie "Unter 50.000 Euro Jahresgehalt stehe ich gar nicht erst auf", aber alles hat seine Untergrenze und die ist bei mir bei 30.000 Euro Jahresgehalt definitiv erreicht - alles, was darunter liegt, ist für mich nicht interessant und wäre es auch für viele meiner Kunden nicht, die z. T. wesentlich mehr verdient haben.

Ich weiß zwar, dass die Personaldisponenten in den Zeitarbeitsfirmen auch ein eher durchschnittliches Gehalt bekommen (bei 2.500 Euro brutto in Vollzeit ist da definitiv Schluss), aber das rechtfertigt noch lange nicht, andere für nen Hungerlohn auf die Bretter zu schicken, aber manche spielen ja "Man kann es ja mal versuchen."

Im kaufmännischen Bereich werden viele Stellen zumindest hier in den Ballungszentren ohnehin nur noch über Zeitarbeit ausgeschrieben, teilweise mit Übernahmeoption (haha). Komisch, früher ging es doch auch, dass Firmen direkt eingestellt haben, ohne dass da jemand von der Zeitarbeit geholt wurde - Leiharbeiter waren ursprünglich dazu da, bei personellen Engpässen einzuspringen und Auftragsspitzen abzufedern, doch seit die Bundesarbeitsagentur gestattet hat, dass Leiharbeiter auch zeitlich unbefristet beschäftigt werden dürfen, sind manche Firmen dazu übergegangen, das auch weitlich auszunutzen - mit traurigen Konsequenzen für den Leiharbeitnehmer. Und da beschwert sich unsere Regierung, dass angeblich so wenig in die Rentenkassen gespült wird? - Klar, die Arbeitslosenquote ist hoch - auch wenn sie natürlich geschönt wird, indem manche Arbeitslose in z. T. überflüssigen Qualifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen verschwinden - aber wenn ein Teil der Bevölkerung trotz Vollbeschäftigung nur Bruttolöhne zwischen 800 und 1.600 Euro verdient, ist es logisch, dass da auch weniger Sozialabgaben gezahlt werden, da die sich nun mal am Bruttogehalt bemessen. Es ist ein Unterschied, ob der Beitrag zur Rentenversicherung auf der Grundlage von 2.500 Euro brutto oder 1.500 Euro brutto berechnet wird. Willkommen in der Realität, liebe Politiker mit Visionen!

Keine Kommentare: