Auch wenn man schon länger tot und mittlerweile mumifiziert bzw. skelettiert ist, ist es verständlich, wenn man sich in dem Zustand nach mindestens 20 Jahren Liegezeit im Sarg auch mal die Beine vertreten möchte :o). Zuviel Immobilität erhöht bei vielen Menschen auch das Thromboserisiko überproportional, wobei die Gefahr bei Gerippen da eher gering ist, denn nach dem Tod ist das Blut ohnehin vollständig geronnen - ein INR/Quick-Wert läge dann vermutlich bei 0,0 bis 0,5 (normal bei Nicht-Marcumar-Patienten: 0,8 bis 1,2) und nach so einer langen Liegezeit sind nicht mal mehr Blutgefäße vorhanden, in denen was gerinnen könnte, hihi.
Blickkontakt zwischen Skelett und Spinne - (c) mieter, Pixelio
An einem sonnigen Samstagabend machen sich Alex und ihre Freunde Renate, Thomas, Uli, Timo und Marina auf zur Gruga-Kirmes, die auf dem Vorplatz der Grugahalle, auch als Schmetterlingsbau bekannt, stattfindet. Marina futtert am liebsten Gemüsesuppen, die an einem Stand dort angeboten werden, während die Rüstige zwischen Zuckerwatte und Likörchen schwankt. Thomas als Mann braucht erst mal ein ordentliches Steak und da auch Alex' Fleischeslust an diesem Abend entsprechend groß ist, bestellt sie sich aus Sympathie direkt eins mit. Timo nörgelt mit Kölschem Dialekt rum, weil's kein Kölsch gibt, sondern nur andere Plörre, die sich Bier nennt - er entscheidet sich schließlich für ein Krombacher sowie gebratene Riesen-Champignons.
Was weder Alex und ihre Freunde noch andere Kirmesbesucher wissen: Vom Südwestfriedhof in Fulerum aus haben sich fünf Skelette auf den Weg zur Kirmes gemacht, um sich ein wenig die Beine zu vertreten und mal zu gucken, was sich alles in den letzten 30, 35 Jahren in Essen verändert hat. Etliche Leute, denen sie begegnen, bekommen Weinkrämpfe, Angstzustände oder glauben an Wahnvorstellungen, sodass die Psychiatrie im Uniklinikum Essen schnell überbelegt ist, genau wie die Notaufnahme. Auf der Alfredstraße, die direkt an der Kirmes vorbei führt, gibt es sogar eine Massenkarambolage, zum Glück jedoch ohne Verletzte und Tote, denn die Autofahrer können nicht glauben, was sie dort sehen. Nur Nina, ein 23-jähriges Amateur-Model mit leichtem Hang zur Magersucht, beneidet die Gerippe um ihre gertenschlanke Gestalt und möchte am liebsten auch so aussehen. Ihr Freund Boris, der mit seinem 3er BMW von zwei Twingos gerammt wurde, versteht die Welt nicht mehr und flucht, weil es den beiden Kleinwagen gut geht, seinem BMW dafür aber nicht. Boris weiß nämlich nicht, dass Twingos fast unkaputtbare Kleinwagen sind und wesentlich mehr aushalten als ein 3er, hehe.
Alex und einige ihrer Freunde haben beschlossen, das Fahrgeschäft "Hollywood Swing" zu besuchen. Hierbei handelt es sich um Hollywood-Schaukeln, in denen maximal drei Personen Platz finden und das elipsenförmig im Kreis fährt, sodass man zwischendrin auch mal in der Luft ist - zwar nicht besonders aufregend, aber irgendwie lustig. Marina pupst und isst Wirsing, während sie die anderen auf dem Hollywood Swing beobachtet. Alex teilt sich ihre Gondel mit Thomas, Uli mit Renate und Timo mit zwei 13-jährigen Schülerinnen namens Chantal und Jacqueline, die sich in ihrer pubertären Art freuen, neben einem Zwei-Meter-Mann Platz nehmen zu dürfen.
Die Fahrt ist zunächst sehr lustig, was insbesondere an den Sprüchen des DJs liegt wie etwa "So, jetzt brettern wir mal mit 30 km/h durch die Luft" oder auch, als er den Hollywood Swing auf die maximale Geschwindigkeit von 50 km/h beschleunigt und er spricht "Und nun die Händchen ans Stängchen!". Uli und Renate lachen sich tot, Alex grinst Thomas vielsagend an, der jedoch trotz seines Lächelns knallrot anläuft und Timos Gemächt - das allerdings natürlich unter Jeans und Schlüppi verborgen ist - wird begierlich von Chantal und Jacqueline angeguckt. Timo schwankt zwischen Frust (ältere Mitfahrerinnen, die er ungestört anmachen könnte, wären ihm lieber...) und geschmeicheltem Grinsen. Zu der lustigen Fahrt läuft "Higher" von Taio Cruz feat. Kylie Minogue.
Die fröhliche, ausgelassene Atmosphäre wechselt jäh, als Thomas plötzlich einen Totenkopf fängt, der ihm wie von Geisterhand zugeworfen wurde. Er jammert los: "Alex! Wie kommt denn der Todeskopf hierher?" Alle sehen sich erschreckt um. Marina schmeißt zunächst fast vor Schreck ihren Wirsing auf den Boden, fängt dann aber an, alles mit ihrer neuen Digitalkamera zu dokumentieren, wobei sie zwischen Belustigung und Übelkeit schwankt. Eins der Skelette, das fast unmerklich noch in eine leere Gondel gestiegen ist, als das Fahrgeschäft gerade anruckte, hat den Kopf verloren, der bei dem Speed natürlich durch die Luft geschleudert wurde und schließlich in Thomas' Armen gelandet ist. Alex findet die Situation unfreiwillig komisch und muss lachen, während sie beruhigend ihren Arm um Thomas legt. Der DJ bricht die Fahrt sofort ab, zumal auf dem Kirmesplatz und dem angrenzenden Trödelmarkt ein irres Geschrei ausbricht, denn die Skelette besuchen noch weitere Fahrgeschäfte und verlieren dabei gewisse Körperteile, da ihre Gerippe soviel Bewegung auf einmal nicht mehr gewohnt sind - Fingerknochen, Fußknochen, Schädel.
Alex' Stationsarzt aus'm Philipp, der zusammen mit seinem russischen Kollegen ebenfalls die Gruga-Kirmes besucht hat, bewundert zwar das symmetrisch konfigurierte Rippengitter von einem der Skelette, ist jedoch nicht gerade erfreut, als direkt zu seinen Füßen eine ganze knochige Hand landet. Zudem müssen er und sein Kollege sich wenig später um hysterisch gewordene Kirmesbesucher kümmern, sodass die beiden Mediziner nachher nur noch denken: "Lasst mich Arzt - ich bin durch!" Thomas legt den Totenkopf erleichtert neben einen Abfalleimer, dann spendiert er Alex und sich erst mal nen Schnaps. Renate holt sich auch einen, genau wie Uli. Ein Skelett muss schließlich in Einzelteilen auf dem gesamten Kirmesplatz wieder zusammengebastelt werden - der Schädel liegt neben dem Hollywood Swing, ein Bein vor dem Hot Snow, das Rippengitter im Break Dance und die übrigen Körperteile auf dem Grill einier Steakbude. In jedem Fall haben Kirmesbesucher, Ärzte, Sanitäter, Polizisten, Fahrgeschäftsbetreiber und Pathologen alle Hände voll zu tun - Flüchten, Schreien, Lachen, Fotografieren, Beruhigen, Verarzten, Skelette wieder zusammensetzen, Ordnung ins Chaos bringen...:o). Erst weit nach Mitternacht ist halbwegs Ruhe eingekehrt, sodass die reparierten Gerippe erst in die Pathologie des Uniklinikums kommen und später, nachdem die Polizei ermittelt hat, von welchem Friedhof die Toten entwichen sind, erneut beigesetzt werden. Die Gerippe haben jedenfalls beschlossen, nie wieder eine Kirmes zu besuchen, wenn sie sich mal wieder die Beine vertreten möchten.
Happy End!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen