Montag, 30. August 2010

Kindheitserinnerungen auf Schlacke


Fotos:
Bäume im Nebel: (c) Manfred Schimmel, Pixelio
Auf Halde: (c) Verena N., Pixelio
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Ich weiß nicht mehr, wie wir am vergangenen Samstag darauf kamen, aber meine Mom erinnerte sich beim Kaffeetrinken daran, wie ich (damals 6) und meine beiden Nachbarsjungen Marc (damals 8) und Olli (damals ebenfalls 6) total verdreckt von einem Spiel auf der Schlacke in unserer unmittelbaren Nachbarschaft zurückkehrten.

Zwischen Mai 1977 und Januar 2006 habe ich in E-Schönebeck auf der Herbrüggenstraße gewohnt. Marc wohnte mit seinen Eltern in der Wohnung nebenan und Olli mit seinen Eltern sowie seiner älteren Schwester Simone im Nachbarhaus. Drei Häuser weiter fing die Schlacke an - das ehemalige Zechengelände der Zeche Wolfsbank Schacht XII. Diese eher kleine, ziemlich flache Halde war nicht annähernd so groß und hoch wie andere Halden im Ruhrgebiet, z. B. die Schurenbachhalde in E-Altenessen, die Halde an der Beckstraße mit Tetraeder in Bottrop oder die Halde am Weidkamp/Ecke Grasstraße in E-Borbeck, Grenze Bergeborbeck, aber zu entdecken gab es dort trotzdem jede Menge.

Die Schlacke erstreckte sich zwischen Herbrüggenstraße Nr. 106, den Gärten der Heißener Straße, Pollerbecks Brink und Heidbusch. Der Zugang war über mehrere schmale, teilweise steile Pfade von der Herbrüggenstraße aus möglich, in Richtung Heißener Straße gab es noch einen kleinen Hügel inklusive Birkenhain mit Fliegenpilzen. Zum Heidbusch hin flachte die Schlacke immer mehr ab. Wir fanden es als Kinder hochgradig spannend, was es dort alles zu sehen gab: Pilze, Riedgräser, verschiedene Bäume, Reste der Zechengebäude und eine Pflanze in Hülle und Fülle, von der ich bis heute nicht weiß, wie sie heißt. Sie konnte bis zu zwei Meter hoch werden, hatte die Form von Bambus, wobei der Stiel aber rot gesprenkelt war. Die Blätter ähnelten der einer Efeutute. Die Dinger wuchsen jedenfalls massenweise an unterschiedlichen Stellen auf Schlacke.

Olli, Marc und ich sind meist den steilen Pfad neben der Einfahrt an Haus Nr. 106 hochgestiefelt, denn an dem Haus führte nur noch eine unbefestige Straße ein paar Meter zu ein paar Garagen hinter den Gärten. Wir mussten aber immer höllisch aufpassen, wenn wir dort hochgeklettert sind, denn wehe, wir haben mal gelacht - dann bedrohte uns die Bewohnerin des Hauses immer mit Leib und Leben. Mehr als einmal wollte sie uns ihren Boxer an den Kopf schmeißen...manchmal hat jeder von uns auch Freunde aus Schule und Kindergarten zum Spielen mitgebracht, aber an jenem Nachmittag - es muss bereits Herbst gewesen sein - waren Olli, Marc und ich alleine.

Meistens haben wir auf Schlacke Lin-Chu nachgespielt und uns durch den Dschungel gekämpft oder uns archäologisch betätigt, denn unter der rotschwarzen Erde konnte man vielfach noch Steine und sogar Gebäudeteile der ehemaligen Zeche finden, die irgendwann in den 60er Jahren stillgelegt worden war. An jenem Nachmittag betätigten wir uns trotz strömendem Regen wieder mal archälogisch und wollten den Gang zu einer Höhle in dem Hügel freibuddeln, auf dem sich auch der Birkenhain befand. Wir kannten es nicht, dass wir bei Regenwetter nicht einkaufen gingen (wie die Vollpfosten im Werbespot für Mamas Allerlei...) oder nur drinnen spielten - nein, auch im Regen hatte das Spiel im Freien durchaus seinen Reiz. Unsere Eltern wussten zwar, wo wir waren, haben aber natürlich nicht ständig nach uns gesehen - wenn wir wirklich woanders hinwollten, haben wir von der Gegensprechanlage aus an der Haustür Bescheid gesagt.

Wir lagen dort also in Jeans, Regenmantel und Gummistiefeln und buddelten wie die Wilden, um was Interessantes auszugraben und die Höhle auszuheben, dabei haben wir komplett die Zeit vergessen. Da es allmählich dunkel wurde, hat meine Mom meinen Dad los geschickt, um mal auf Schlacke nach uns zu sehen. Wir standen schließlich wie drei kleine Dreckspatzen vor ihm und ich muss meinen Dad mit großen Augen angeguckt haben mit einem Blick, der besagte "Schimpf bloß nicht mit mir." Abgesehen davon, dass ich ohnehin selten Terror mit meinen Eltern hatte - in der Pubertät kam das schon mal häufiger vor, aber das ist wohl normal ;o) - musste mein Vater ziemlich lachen. Auch meine Mom nahm's locker, als wir wenig später nach Hause kamen, steckte aber meine Klamotten sofort in die Waschmaschine und mich in die Wanne.

Unsere Nachbarin, Marcs Mutter, hat ihren Sohn wohl einem ziemlichen Kreuzverhör unterzogen, was wir denn da gemacht hätten und warum er so dreckig sei, aber Marc sagte natürlich nix - Petzen ist ja auch nicht besonders schön. Irgendwann war der arme Junge wohl so genervt von der Fragerei seiner Mom, dass er losmeckerte: "Ja, und dafür hat der Olli in die Büsche gestrullert!" (Okay, das haben wir alle gemacht, wenn wir gespielt haben und keinen Bock hatten, nach Hause zu gehen, aber das musste Marc ja seiner Mom nicht auf die Nase binden, hihi). Darüber hat sich seine Mom damals wohl noch tierisch aufgeregt und meine Mom lachte sich letzten Samstagnachmittag am Kaffeetisch in Erinnerung daran darüber scheckig.

Hm, kaum kam ich damals aus der Wanne und hatte meinen Schlafanzug angezogen, musste ich in der Nachbarwohnung zum Kreuzverhör antreten, aber ich habe genauso wenig gesagt wie Marc, wieso wir so dreckig waren - das habe ich meinen Eltern erst viel später erzählt, zumal ja auch nichts Schlimmes passiert war, niemand war verletzt, sondern einfach nur schmutzig vom Suhlen und Graben in dem matschigen, schwarzroten Boden. Unsere Väter haben's wesentlich lockerer genommen und selbst meine Mom hat's einigermaßen gelassen genommen - nur mit meinen dreckverkrusteten Stiefeln in die Wohnung durfte ich natürlich nicht ;o). Die musste ich natürlich vorher im Hausflur ausziehen.

Meine Eltern kriegten sich jedenfalls an die Erinnerung, wie ich da als absoluter Dreckspatz von der Schlacke kam und unsere Nachbarin sich darüber aufregte, dass Olli in die Büsche gestrullert hatte, nicht mehr ein, aber ich musste auch lachen. Wenn ich mich jedes Mal darüber aufregen würde, wenn ich nen Mann irgendwo strullern sehe, dann hätte ich aber viel zu tun...Marina hat so etwas erst am vergangenen Wochenende in Holland geknipst und ich vorm Black Sabbath-Konzert in der Dortmunder Westfalenhalle im Juni 2005 ;o).
Heute steht die Schlacke nicht mehr in voller Pracht. Seit 1990 existiert eine Verbindung zwischen Heidbusch und Herbrüggenstraße und nach und nach kamen mehrere Wohnhäuser und eine KiTa auf der Ecke dazu, sodass praktisch nur noch der Teil mit dem Birkenhain von der Schlacke übrig geblieben ist.

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