Nunmehr wurde angeblich ein Schuldiger für den furchtbaren Flugzeugabsturz am Dienstag ausgemacht - es war lt. Medienberichten der Co-Pilot, der das Flugzeug absichtlich zum Absturz gebracht hat, weil er sich umbringen wollte und dabei 149 Unschuldige, die nicht sterben wollten, mit in den Tod gerissen hat. Wenn dem so sein sollte, ist dies schrecklich für die Hinterbliebenen der Passagiere und der Crew-Mitglieder - aber die Toten würden leider auch nicht wieder lebendig, wenn es eine andere Ursache gäbe.
Was mich nervt an der Berichterstattung unserer Medien ist erstmal die unangemessene Menge - soviel Zauber wurde damals bei dem verschollenen Flug MH 370 bei weitem nicht gemacht und noch nicht mal bei der Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004, und noch nicht mal bei den verheerenden Anschlägen vom 11. September 2001 kamen stundenlange Sondersendungen. Es wurde zwar damals auch viel berichtet, aber bei weitem nicht so ausufernd und vor allem nicht populistisch wie jetzt bei diesem Flugzeugabsturz.
+Sven Krämer hatte heute Morgen einen sehr guten, differenzierten Blog-Eintrag zum Thema veröffentlicht, den ich auch kommentiert habe. Mir stößt erstmal sauer auf, dass der Eindruck erweckt wird, dass deutsche Menschenleben mehr Wert zu haben scheinen als die anderer Nationen, denn so schrecklich das für die Angehörigen von Passagieren und Crew des Germanwings-Fluges ist, ebenso schrecklich ist jedoch auch für die Hinterbliebenen der Fluggäste und Crew von Flug MH 370, dass sie ihre Angehörigen nie mehr wiedersehen werden. Der Verbleib des Fluges ist bis heute noch nicht einmal geklärt, aber das ist unserer Journaille kaum noch eine Zeile wert - es waren ja auch keine Deutschen, die verschollen und wahrscheinlich ums Leben gekommen sind.
Was mich aber noch mehr nervt als diese ausufernde, sich ständig wiederholende Berichterstattung ist die Treibjagd, die jetzt von medialer Seite auf die Familie des vermeintlich schuldigen Co-Piloten eröffnet wird. Was zum Teufel haben bitte Fernsehteams vor dem Haus der Eltern verloren - oder vor dem Haus in Düsseldorf, in dem der Co-Pilot gewohnt hat? Da geht's doch nur um Sensationsgier und mal zu gucken, was das für Leute sind, die einen "solchen Typen" groß gezogen haben - daran, dass auch die Eltern jetzt einen Angehörigen verloren haben und vielleicht noch nicht einmal einverstanden waren mit dem, was ihr Sohn getan hat, denkt niemand.
Dass die Polizei in beiden Wohnungen nach Anhaltspunkten gesucht hat, ist verständlich - nicht aber diese sensationsgeilen Medienvertreter vor dem Wohnhaus der Eltern, die sind an der Stelle so überflüssig wie ein Kropf. Offenbar scheint einigen kranken, profitgeilen Fernsehteams nicht bewusst zu sein, dass sie damit u. U. auch den Ruf nach Lynchjustiz gegenüber den Angehörigen des Co-Piloten auslösen können, auch wenn die für die Tat ihres Sohnes - sofern es wirklich so war, wie es von den Medien präsentiert wird - nichts können und damit auch nicht einverstanden sind. Von einer Treibjagd gegen die Familie des mutmaßlichen Schuldigen werden die Toten auch nicht wieder lebendig.
Komisch, jetzt kommen plötzlich wieder alle Kanalratten (sorry, und damit beleidige ich jetzt hochintelligente Nagetiere mit ausgeprägtem Sozialverhalten) aus ihren Löchern gekrabbelt und können was zum Thema beitragen. Vor dem Flug ist niemandem aufgefallen, dass der Co-Pilot an irgendwelchen Problemen litt, aber jetzt, da er mutmaßlich 149 andere Menschen mit in den Tod gerissen hat, betätigen sich einige kleingeistige Gemüter wieder als Psychologen, die es ja schon immer gewusst haben wollen, dass etwas mit dem nicht stimmt. Wenn Ihr das doch schon vorher wusstet, warum habt Ihr Euch dann nicht vorher zu Wort gemeldet anstatt jetzt medienwirksam Eure Gesichter in irgendwelche Fernsehkameras zu halten und zu palavern, dass Ihr alles gewusst habt?! Hinterher kann man sich nämlich immer als Oberschlaumeier aufspielen, der alles gewusst hat.
Wenn man wirklich davon ausgeht, dass der Co-Pilot ein psychisches Problem hatte und deshalb seinem Leben und leider auch dem von 149 Unschuldigen ein Ende gesetzt hat, kann ich dazu nur sagen, dass es auch psychisch Kranken recht häufig gelingt, sich gut zu verstellen, denn von Leuten, die ihn näher kannten (wie etwa Fliegerkollegen aus seinem Flugzeugclub), ist ja stets zu hören, dass der Co-Pilot zurückhaltend, nett und fröhlich war, sodass niemand auf die Idee gekommen wäre, er sei zu solch einer Tat fähig. Das hört man aber auffallend oft von Freunden, Nachbarn und Kollegen eines Täters, der sich einer sehr schlimmen Straftat schuldig gemacht hat - "er war doch immer so freundlich, hilfsbereit, nett und hat meiner Mutti sogar die Einkaufstasche getragen" und ähnliches Bla-Bla in Verbindung mit Fassungslosigkeit ist da oft eine gängige Reaktion, wenn sich herausstellt, dass der nette Nachbar in Wirklichkeit ein Frauenmörder, Kinderschänder oder was auch immer ist. Leider lassen sich auch viele von rein äußerlichen Attributen wie Aussehen, Kleidung und höfliches Auftreten blenden - darin sind die Deutschen nämlich ganz groß, genau wie darin, es hinterher immer schon alles gewusst zu haben.
Vor etwa 17 Jahren hat in einem Mietshaus auf dem Reuenberg ein Ehemann seine Frau erschossen - auch da waren die Nachbarn ganz fassungslos, denn das Ehepaar hat ja immer an Grillfesten im Gemeinschaftsgarten teilgenommen und es ist nie ein lautes Wort in der Wohnung zu hören gewesen. Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn mal ein handfester Krach stattgefunden hätte, den auch die Nachbarn gehört hätten, denn Gewitter reinigen die Luft - offenbar haben sich aber durch diese stickume Art ("Was sollen denn die Nachbarn denken, wenn wir uns lautstark anschreien?") soviele Aggressionen aufgestaut, dass der Ehemann seine Frau am Ende getötet hat. Soviel zum Thema "Schöner Schein für die Leute".
Manchmal bemerken Menschen schon, dass etwas mit jemandem nicht stimmt, aber wenn sie dann ihre Zweifel und Befürchtungen bei Chefs, Nachbarn, Vermietern oder wem auch immer äußern, werden solche Menschen, die den Mut haben, mal hinter die Fassade zu blicken und ihrem schlechten Gefühl zu trauen, ganz schnell abgebügelt - "Er ist doch immer so nett." oder "Er hat sich schon dafür entschuldigt, dass er nachts Morddrohungen vom Balkon gegrölt hat." So geht's natürlich auch - wenn ich das Problem nicht sehe, sieht mich das Problem auch nicht. So ähnlich war es ja auch bei dem Krankenpfleger, der kürzlich vor Gericht stand und den manche als "Reanimations-Rambo" bezeichnet haben - einige frühere Kollegen hatten wohl schon ein komisches Gefühl bei ihm und haben das sogar kommuniziert, aber die Vorgesetzten wollten nix davon hören. Nee, Vorgesetzte und Betriebsräte kümmern sich lieber um Nebenkriegsschauplätze und kleine Marotten von normalen Angestellten, gehen aber nur selten an die wirklichen Problemfälle ran, weil unbequem und dann artet sowas ja auch noch in Arbeit aus.
Aus diesen Gründen wäre es schön, wenn die selbsternannten Hobby-Psychologen und Moralisten einfach mal die Backen halten würden anstatt sich medienwirksam als wichtigtuerische Vollidioten zu outen. Ebenso schön wäre es, wenn diese mediale Treibjagd gegen den vermeintlich Schuldigen bzw. dessen Familie bald ein Ende hätte, denn von dem Schwachsinn, den manche Medien hier verzapfen, werden die Toten leider nicht wieder lebendig. Ehrlich gesagt glaube ich auch nicht, dass sich die Toten oder deren Hinterbliebene diese mediale Treibjagd gewünscht hätten.
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