Dienstag, 29. September 2015

Schlimm, schlimmer - Essen

Letzten Sonntag hat ja nach der Stichwahl der Oberbürgermeister bei uns in Essen gewechselt - Reinhard Paß (SPD) musste seinen Stuhl zugunsten von Thomas Kufen (CDU) räumen. Ich glaube allerdings nicht, dass sich jetzt irgendwas zum Positiven für die Essener wandeln wird - als mich vor einigen Wochen das Meinungsforschungsinstitut am Telefon befragte, habe ich ja gesagt, dass SPD gegen CDU bei der Oberbürgermeisterwahl  wie "Not gegen Elend" wäre und beide für mich keine Alternative wären. Das fand sogar der Interviewer am anderen Ende der Leitung ziemlich lustig.

Keiner, noch nicht mal die Journaille, denkt mal darüber nach, warum die Wahlbeteiligung sowohl bei der Erst- als auch bei der Stichwahl dermaßen katastrophal in meiner Heimatstadt war. Beim ersten Wahlgang lag die Wahlbeteiligung bei 33,9 % und bei der Stichwahl letzten Sonntag noch niedriger. In der Zeitung wird das dann immer alles pauschaliert und verkürzt dargestellt, so als wenn die Leute einfach keinen Bock hätten, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Könnte es aber vielleicht auch daran liegen, dass viele Menschen das Gefühl haben, dass sich nix für sie ändert, egal wen sie wählen? Nee, darauf kommt die Journaille natürlich nicht, das wäre ja auch viel zu unbequem und würde nicht ins beschränkte Weltbild passen.

Ich erinnere mich nur daran, dass ich vor Kurzem allen Fraktionen im Rathaus - die NPD ausgenommen - eine Mail geschrieben habe in Bezug auf die geplante Schließung des Grugabades und dass es angesichts der notorischen Geldknappheit der Stadt auch irgendwie nicht sein könne, dass sündteure Unternehmensberatungen beschäftigt werden. Die Einzigen, die mir darauf geantwortet haben, waren die Linken, Antworten von allen anderen Parteien: Fehlanzeige. Daran sieht man doch, was der Bürgerwille den sog. etablierten Parteien wert ist, nämlich nichts - Hauptsache, "ihr" Mann (oder "ihre" Frau) wird gewählt und man kann sich wichtig vorkommen.

Der Wahlslogan des Kandidaten der Linkspartei lautete "Essen ist reich - an Armen". Da muss ich den Linken leider Recht geben, auch wenn CDU, SPD, Grüne und FDP das erfolgreich zu ignorieren versuchen, indem sie bzw. Wohnungsbaugesellschaften immer wieder neue, teure Immobilien bauen lassen, obwohl es in Essen schon eine Vielzahl von Leerständen gibt. Das erinnert mich an das beliebte Motto "Wenn ich das Problem nicht sehe, sieht mich das Problem auch nicht".  Die Zahl der Arbeitslosen in dieser Stadt ist exorbitant hoch, alleine bei den Hartz IV-Empfängern liegen wir derzeit bei über 82.000 Menschen, deren Einzelschicksale auf den Jobcentern aber vielfach gar nicht ausreichend berücksichtigt werden, im Gegenteil - egal, wie lange jemand von seiner eigenen Hände Arbeit gelebt hat und egal, wie sehr er sich bemüht, aus der Misere wieder rauszukommen: Alles nur Schmarotzer mit krimineller Energie, die man kontrollieren, drangsalieren, schikanieren und herabwürdigen muss. So kommt mir das leider vielfach auf Jobcentern vor, wenn man sich das Personal anguckt, was dort teilweise tätig ist - von offenem Auslachen von Menschen in Not über Lügen und Scheinheiligkeit bis zu höflich kaschiertem Desinteresse ist an schlechten Umgangsformen alles dabei.

Vor dem Hintergrund hätte ich bald reihern können, als ich heute eher zufällig auf eine Stellenanzeige der Stadt Essen stieß, in der Mitarbeiter für die Jobcenter gesucht wurden. Abgesehen davon, dass die Anzeige schon in einigen Punkten mehr oder weniger offen gegen das AGG verstößt (z. B. im Hinblick darauf, dass nur Personen berücksichtigt werden, die maximal drei Jahre Berufserfahrung haben, was dann "ältere" Arbeitnehmer über 35 direkt ausschließt, da die in der Regel wesentlich mehr auf dem Tacho haben), antwortet die Stadt mittlerweile nur noch sporadisch bis gar nicht auf Bewerbungen. Am 6. April 2015 habe ich nach Rücksprache mit einer Personalverantwortlichen der Stadt eine Bewerbung ans Jugendamt Essen verschickt - Antwort ein knappes halbes Jahr später: Fehlanzeige. Ja, ja, aber die Arbeitslosen sind ja alle nur faul und machen es sich lieber in der sozialen Hängematte bequem *ironieoff*.

Christian Kromberg, der Personaldezernent der Stadt Essen, behauptet ja, dass der Krankenstand auf den Jobcentern so hoch sei, weil die Mitarbeiter angesichts der vielen Beschimpfungen durch Hartz IV-Empfänger schneller krank würden als z. B. jemand auf dem  Bauamt. Dass es schlecht erzogene Hartz IV-Empfänger mit niedriger Hemmschwelle zur Gewalt gibt, streite ich gar nicht ab, aber die, die tatsächlich auf Streit und Gewalt aus sind, benehmen sich nicht nur so auf Jobcentern, sondern auch in Discos, Gaststätten oder Fußgängerzonen. Gleichwohl frage ich mich, woher Herr Kromberg seine Erfahrungswerte bezieht - ich glaube kaum, dass er als Personaldezernent selbst mal einen Tag auf dem Jobcenter gearbeitet und sich vor Ort ein Bild von den "bösen" Hartz IV-Empfängern gemacht hat.

Ich verabscheue Gewalt in jedweder Form, auch gegen Mitarbeiter von Jobcentern, aber leider vergessen die "armen" Mitarbeiter dieser Willkür-Behörde aber auch oftmals zu erzählen, wenn ein Leistungsberechtigter sie verbal hart angegangen ist, wie sehr sie ihn bzw. sie vorher durch Sticheleien, Arroganz, weltfremdes Geschwafel der Marke "Sie kriegen kein Darlehen für eine neue Waschmaschine - machen Sie es wie früher und waschen Sie mit dem Waschbrett!" und Beleidigungen provoziert haben. Darüber findet man bei unseren Medien auch so gut wie nie etwas - da ist dann immer nur von gewaltbereiten Sozialschmarotzern die Rede, die die Mitarbeiter bedrohen oder sogar angreifen, wenn sie ihren Willen nicht kriegen. Kurz gesagt: auf beiden Seiten des Schreibtischs gibt's Täter und Opfer. Es gab auch schon Situationen auf dem Jobcenter, in denen mich nur meine gute Erziehung daran gehindert hat, ausfällig zu werden (wie z. B. der "reizende" junge Mann am Empfang des Jobcenters Borbeck, der mich trotz drohender Mittellosigkeit mit den Worten weggeschickt hat, dass das Jobcenter dafür nicht zuständig wäre) - und so geht es auch .
vielen anderen Leistungsempfängern mit halbwegs normalem Sozialverhalten. Man könnte eher den Eindruck bekommen, die Jobcenter-Mitarbeiter werden in Konfliktanstachelung, Provokation und Kunden abwatschen geschult, damit sie sich mit ihrem vielfach leider unterbelichteten Verstand und Sozialverhalten auch noch wichtig bis witzig vorkommen können.



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