+Sven Krämer postete heute Morgen einen Artikel aus der Welt, in dem es darum ging, dass es heute fast keine Streit- und Diskussionskultur mehr gibt, sondern alle so dermaßen weichgespült sind, dass sich kaum noch einer traut, seine Meinung mal offen zu äußern, wobei das natürlich immer noch vom Thema abhängt. Gerade in Bezug auf die derzeitige Flüchtlingspolitik hat praktisch jeder eine Meinung zum Thema, aber gerade, was das eigene Umfeld betrifft, halten viele sich doch sehr zurück aus Angst, sie könnten mit irgendwas in Verbindung gebracht werden oder man könnte sie für bekloppt, meckrig etc. halten.
Dass Urheberrechte zu achten sind, steht außer Frage - manche haben ja leider keine Probleme damit, fremde Texte/Fotos als ihre eigenen auszugeben und wundern sich dann, wenn der eigentliche Urheber mal nachhakt und auf sein Recht hinweist. Ich musste das vor einigen Jahren auch schon mal tun, weil eine junge Dame da auf ihrer Homepage fröhlich fremde Fotos und Texte - einer davon war von mir - verwendet hat, ohne mal anzugeben, wer der eigentliche Urheber ist. Ich habe sie ganz nett angeschrieben und wurde in grottenschlechtem Deutsch als Schlampe und Hure beschimpft. Ich wollte damals schon einen Anwalt einschalten wegen der Urheberrechtsverletzung - was ich ursprünglich gar nicht vorhatte, aber bei diesem fehlenden Unrechtsbewusstsein langte es mir auch - und noch wegen Beleidigung, aber offenbar hatte die Dame dann ganz schnell ihre Homepage mit den geklauten Texten und Fotos gesperrt, weil ihr wohl mal jemand gesagt hat, dass das teuer für sie werden könnte, wenn sie weiter ihre komische Tour reitet.
Bei vollen Namensnennungen sieht es so aus, dass man darauf Rücksicht nehmen sollte, wenn jemand nicht namentlich im Netz genannt werden möchte und derjenige einem dies auch mitteilt. Mit der Frage, inwieweit man den vollen Namen einer Person im Internet nennen darf, haben sich schon zig Gerichte beschäftigt - und wenn jemand das nicht möchte, muss man das so akzeptieren, auch wenn man gar nix Schlimmes über ihn/sie geschrieben hat.
Auch wenn man natürlich Rücksicht auf die individuellen Belange des Einzelnen nehmen sollte, heißt dies aber nicht, dass man sich gar nicht mehr über irgendwas äußern darf und sollte. Natürlich kann man dann eher neutrale Formulierungen wählen wie mein Sachbearbeiter, der Angestellte von Bank XY, die Kellnerin im Café Kaffee usw. oder einfach den Vornamen wählen, sofern der nicht so exklusiv ist, dass man leicht darauf schließen könnte, wer gemeint ist. Bei sehr häufigen Vornamen wie Melanie, Sabrina, Michaela, Andrea oder Verena ist die Verwendung des solchen auch eher unproblematisch.
Doof wird's nur, und da zweifele ich dann auch am Verstand des Verfassers, wenn derjenige anfängt, andere mit voller Namensnennung im Internet zu beleidigen oder zu verleumden, denn dann werden strafrechtliche Bereiche berührt. Um sowas zu vermeiden, werden gerade bei negativen Beurteilungen über etwas/jemanden meist von vielen Bewertungsportalen keine vollen Namensnennungen zugelassen oder wenn nur, wenn beispielsweise Personaldisponentin Lieschen Müller-Mustermann jemanden durch engagierte Arbeit zu einem neuen Arbeitsplatz verholfen hat. Bei positiven Bewertungen wird die volle Namensnennung noch liberaler gehandhabt als bei negativen Äußerungen. Dennoch kann es natürlich auch bei Lob passieren, dass derjenige seinen vollen Namen nicht im Netz lesen möchte - und das muss man dann akzeptieren.
Auch wenn man die Persönlichkeitsrechte des anderen in jedem Fall achten sollte, heißt dies aber nicht, dass sich niemand mehr über ein Produkt, eine Dienstleistung oder eine Firma in irgendeiner Form äußern darf. Wenn der Verfasser keinen Namen nennt, ist Kritik, egal ob positiv oder negativ, erstmal durch die Meinungsfreiheit gedeckt.
Hinzu kommt, dass manche Menschen wie etwa bekannte Schauspieler, Sänger, Autoren oder Politiker, ohnehin in der Öffentlichkeit stehen und dann auch damit rechnen müssen, dass sich mehrere Menschen zu ihrem Schaffen in irgendeiner Form äußern. Ich bin beispielsweise nicht weltweit bekannt, aber auch ich muss alleine durch die Veröffentlichung meiner Artikel und meiner Bücher damit rechnen, dass ich bis zu einem gewissen Grad ebenfalls in der Öffentlichkeit stehe und sich jemand dazu äußert - egal, ob lobend oder kritisch. Natürlich freut sich jeder, wenn er etwas Nettes über sich zu lesen bekommt, aber solange jemand mich nicht beleidigt, diskriminiert oder Lügen über mich verbreitet, kann ich auch ganz gut damit leben, wenn jemand sagt, dass ihm irgendwas nicht so gut gefallen hat, denn man kann es einfach nicht allen recht machen.
Was mich aber generell stört, ist, dass viele heute um ängstliche Unauffälligkeit bemüht sind - auch wenn sie durch irgendeinen Umstand zumindest einem Teil der Öffentlichkeit bekannt sind. Wenn ich nicht möchte, dass jemand sich mit meinen Werken beschäftigt, egal ob im Guten oder Schlechten, dann dürfte ich gar nichts veröffentlichen, weder im Internet noch in Zeitschriften.
Eine Essener Autorin, die sehr viele E-Books verkauft hat und über die bereits zweimal in der WAZ berichtet wurde, wollte z. B. nicht, dass ihr voller Name in der Zeitung auftaucht, denn sie schreibt unter einem Pseudonym. Okay, das kann man akzeptieren, wenn sie das nicht möchte, aber ich sage mir immer, dass ich normalerweise auch mit meinem Klarnamen zu dem stehen können sollte, was ich meine bzw. tue - mir ist auch bewusst, dass meine netten kleinen E-Books mit dem bisweilen eigenwilligen Humor weder literaturnobelpreis- noch buchpreisverdächtig sind, aber es geht mir darum, meine Leser zu unterhalten und nicht darum, bei Journalisten Everybody's Darling zu sein. Wenn ein Sender oder eine Zeitung über mich berichten möchte, finde ich das voll gut - aber ich breche auch nicht vor lauter gekränkter Eitelkeit zusammen, wenn dem nicht so ist, weil manche mit meinem Humor nix anfangen können :o). Da muss ich natürlich damit rechnen, dass mich jemand vielleicht in die Trivialecke schieben möchte und mich dann auch so anspricht ("Finden Sie Ihre Werke nicht zu trivial?"), aber damit kann ich auch leben. Wichtig ist, dass meine Leser sich über meine Geschichten freuen und nicht etwa, dass alle außer meinen Lesern mich mögen :o).
Im Übrigen ist es weder krank noch verwerflich, eine eigene Meinung zu haben und diese auch zu vertreten, denn Leisetreter, Ja-Sager usw. gibt's leider schon viel zu viele - und das finde ich viel kränker, wenn einer gar nicht mehr mit der Faust auf den Tisch haut und nur darum bemüht ist, bloß nicht in der Masse aufzufallen. Manche tun zwar so, als wenn es nicht normal sei, eine Meinung zu etwas zu haben, aber manchmal ist es auch für die Psychohygiene gut, etwas mal direkt auszusprechen anstatt um des lieben Friedens Willen gar nix mehr zu sagen oder alles unangemessen zu relativieren. Eine Kritik kann auch mal weh tun - und wenn die Kritik an etwas allzu handzahm vorgetragen wird aus Angst, der andere könnte mich jetzt in eine bestimmte Ecke stellen, dann ist es auch keine Kritik mehr für mich.
Das heißt natürlich nicht, dass man zwischenmenschliches Porzellan zerschlagen muss, sodass man sich hinterher mit dem A.... nicht mehr anguckt, indem man den anderen beleidigt, diffamiert oder diskriminiert, aber es ist wichtig, Dinge auch mal offen an- und auszusprechen, im Guten wie im Schlechten.
Gut, manche Arbeitgeber nutzen Äußerungen im Internet schon mal ganz gerne, um missliebige Mitarbeiter los zu werden, aber solange auch da kein Name genannt wurde und keine radikalen/pornographischen Bereiche tangiert werden, ist das normalerweise auch durch die Meinungsfreiheit gedeckt, wenn sich jemand über eine chronisch schlecht gelaunte Kollegin oder einen ungepflegten Kollegen auslässt, ohne denjenigen als Stinkstiefel zu titulieren. Da gilt dann eher, dass sich jeder den Schuh anzieht, der ihm passt bzw. was sind das für Kollegen, die gezielt im Internet nach Infos über einen missliebigen Mitarbeiter suchen, um sich beim Chef lieb Kind zu machen und den anderen hinzuhängen? - Da zweifele ich dann eher an der Charakterfestigkeit solcher Mitarbeiter, die so einen Schmarrn auch noch mitmachen, obwohl sie in Wirklichkeit derselben Meinung sind wie derjenige, der sich im Netz offen geäußert hat, sich aber aufgrund fehlenden Rückgrats und in ihrem ängstlichen Bemühen um Unauffälligkeit nicht trauen, mal was zu sagen.
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