Mittwoch, 5. Oktober 2011

Leseprobe aus "Hart wie Krupp-Stahl"

                                                                     Cover

Wenn Skelette sich am falschen Ort die Beine vertreten

An einem sonnigen Samstagabend im August machten sich Alex und ihre Freunde Renate, Thomas, Uli, Timo und Marina auf zur Gruga-Kirmes, die alljährlich auf dem Vorplatz der Grugahalle, auch als Schmetterlingsbau bekannt, stattfand. Marina futterte am liebsten Gemüsesuppen, die dort an einem Stand angeboten wurden, während die Rüstige zwischen Zuckerwatte und Likörchen schwankte. Thomas als Mann brauchte erst mal ein ordentliches Steak und da auch Alex' Fleischeslust an diesem Abend entsprechend groß war, bestellte sie sich aus Sympathie direkt eins mit. Timo nörgelte mit Kölschem Dialekt rum, weil's kein Kölsch gab, sondern nur andere Plörre, die sich Bier nennt - er entschied sich schließlich für ein Krombacher sowie gebratene Riesen-Champignons mit Knoblauch-Sauce.


Was weder Alex und ihre Freunde noch andere Kirmesbesucher wussten: Vom Südwestfriedhof in Fulerum aus hatten sich fünf Skelette auf den Weg zur Kirmes gemacht, um sich ein wenig die Beine zu vertreten und mal zu gucken, was sich alles in den letzten 30, 35 Jahren in Essen verändert hatte. Etliche Leute, denen sie begegneten, bekamen Weinkrämpfe, Angstzustände oder glaubten an Wahnvorstellungen, sodass die Psychiatrie im Uniklinikum Essen an der Hufelandstraße in Holsterhausen schnell überbelegt war, genau wie die dazugehörige Notaufnahme. Auf der Alfredstraße, die direkt an der Kirmes vorbei führt, gab es sogar eine Massenkarambolage, zum Glück jedoch ohne Verletzte und Tote, denn die Autofahrer konnten nicht glauben, was sie dort sahen – Skelette, die sich wie selbstverständlich auf den Weg zum Rummelplatz machten. Nur Nina, ein 23-jähriges Amateur-Model mit leichtem Hang zur Magersucht, beneidete die Gerippe um ihre gertenschlanke Gestalt und wollte am liebsten auch so aussehen. [...]

Vollmond

[...] Obwohl der Weg durch das Mühlbachtal nicht von Laternen beleuchtet wurde und auch Wohnhäuser ziemlich weit entfernt standen, war es aufgrund des strahlenden Vollmondes hell genug, um unfallfrei laufen zu können. Die Kristalle im Schnee reflektierten sein Licht. Sie liefen Arm in Arm durch das verschneite Tal, der Schnee knirschte unter ihren Schuhen. Manchmal küssten sie sich oder betrachteten die funkelnden Sterne. Im Westen entdeckte Michael wieder das Sternbild mit grünlich funkelnden Diamanten und fragte seine Frau zum wiederholten Male, ob sie wisse, wie das Sternbild heiße. Sie grinste ihn an, als sie ihre Arme um seinen Hals legte.
„Schatz, ich weiß jetzt, wie es heißt: Das ist das Sternbild Geile Gewürzgurke!“
Michael fing an zu lachen. Seine brüllende Lache erschreckte offensichtlich einige Tiere, denn Ratten kreuzten entnervt den Weg, um zu flüchten, eine Eule heulte empört, so als wenn sie mit Michael schimpfen würde. Angesichts der friedlichen Stille über dem Mühlbachtal wirkte seine Lache besonders laut.
Er nahm sie fest in die Arme und küsste sie leidenschaftlich.
„Ich hab auch ne geile Gewürzgurke,“ flüsterte er zwischen zwei Zungenküssen. [...]

Sommernacht auf dem Kanal

[...] Blitze sprangen wie quirlige Kobolde von Wolke zu Wolke, die Erdblitze fielen sogar noch greller aus. Donner grollten bedrohlich tief und schienen den ganzen Kanal nebst seiner weiteren Umgebung zu erfüllen. Über der Was-seroberfläche bildete sich eine Art elektrisch aufgeladener Nebel, der in Schwaden am Schiffsrumpf vorbei zog, so als wenn er ihn einhüllen wollte. Kerstin hatte sich mittlerweile auf den Schoß ihres Mannes gesetzt, denn nicht nur das nächtliche Gewitter an sich war unheimlich, sondern auch das ganze Ambiente. Er hatte noch nicht einmal die Gelegenheit, nur mit einer Hand zu steuern und den freien Arm um sie zu legen, denn der Wellengang mutete schon eher wie auf einem Fluss oder dem Meer an. Sie schmiegte sich vertrauensvoll an ihn, auch wenn ihr das Herz bis zum Hals schlug – der Wind blies ihnen unablässig entgegen, das Geräusch des Schiffsdiesels ging in lautem Dauergrollen unter, die grellen Blitze zuckten im Sekundentakt. Sie warf einen Blick nach vorne zum Bug, wo ja auch ihr Auto in der Nähe des vorderen Mastes stand, der zurzeit halb eingeklappt war. Sowohl die A-Klasse selbst als auch der Mast zeigten an den Kanten einen bläulichen, lodernden Schimmer, der ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Elmsfeuer zeigten sich lediglich an den Kanten von Gipfel-kreuzen, Berggraten, Gebäuden, Tragflächen von Flugzeugen sowie auch an Schiffsmasten. Sie wusste, dass Elmsfeuer lediglich zu sehen waren, wenn ein Blitzschlag unmittelbar bevor stand…[...]


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