Dienstag, 5. Mai 2015

Man kann auch alles falsch verstehen wollen...

+Sven Krämer postete heute Morgen zwei gute Beiträge zu den Themen "Bewerbungen, Arbeitsmarkt und soziale Netzwerke". Ich tue das ja auch regelmäßig, u. a. in diesem Blog, meinen Artikeln unter experto.de und auch in meinem E-Book "Märchen vom deutschen Arbeitsmarkt", das mit dem Mythos vom ständig schlecht qualifizierten, arbeitsscheuen Bewerber aufräumt - die es aber leider natürlich auch gibt - und sich eher mit den Arbeitgebern beschäftigt, die noch nicht mal 50 % von den Anforderungen in die Praxis umsetzen, die sie an ihre Bewerber stellen - gar keine Antworten auf Bewerbungen oder wenn, erst nach Monaten, gerne mit tausend Fehlern und schlechtem Stil gespickt u. ä. Fiesimatenten.

Am Samstag hatte ich ja zwei Bewerbungen per Mail versandt - eine als Journalistin nach Düsseldorf, eine als Kauffrau für Büromanagement in Velbert. Der Herr aus Düsseldorf ist lt. seiner Mail vom Sonntag die ganze Woche unterwegs, sodass er sich wohl nächste Woche bei mir melden wird, der Herr aus Velbert bat mich um ein paar Tage Zeit, bis er alle Bewerbungen gesichtet habe.

Hm...angesichts der letztgenannten Mail bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich der Herr nicht zum Kreis meiner Leser zählt und nun meint, ich erwarte Antworten binnen zwei Tagen. Das tue ich nicht und das steht auch an keiner Stelle so, weder in meinen Artikeln noch in meinem E-Book noch in meinem Blog - bis zu zwei Wochen bis zu einer Einladung zum Gespräch bzw. zu einer Absage halte ich durchaus für vertretbar, aber noch längere Antwortzeiten sehe ich eher kritisch, vor allem dann, wenn eine Firma angeblich "ab sofort" oder "kurzfristig" eine/n neue/n Mitarbeiter/in sucht. Wenn dem wirklich so sein sollte, dass meine Beschwerden über unangemessen lange Antwortzeiten oder Nichtantworten über Bewerbungen jetzt so umgedeutet werden, dass die Firmen mich und andere Bewerber am besten vorgestern kontaktiert haben sollten,  ist das nicht meine Schuld, denn man kann im ungünstigsten Fall auch berechtigte Kritik am Vorgehen mancher Firmen umdeuten. Wenn dem nicht so ist und die Eingangsbestätigung einfach nur unglücklich formuliert war - auch gut.

Mich nerven ohnehin immer diese ganzen Interpretationen von Aktivitäten mancher Bewerber in sozialen Netzwerken. Ich kann nichts Verwerfliches daran finden, wenn sich z. B. eine junge Dame vollständig bekleidet mit zwei ihr sympathischen Herren, die auch vollständig angezogen sind, gut gelaunt Arm in Arm am Tresen einer Kneipe auf einem Foto zeigt. Die beiden Herren müssen ja nicht zwingend Kumpels von ihr sein, das können ja z. B. auch ihr Bruder und ihr Cousin sein, aber bei solchen Fotos bzw. deren Interpretation gilt dann oft "Schlecht ist, wer schlecht denkt", zumal manche Personaler sich leider nicht ihre tatsächlichen Aufgaben auf die Fahnen geschrieben haben, sondern sich eher als moralische Instanz verstehen, die in ihrem beschränkten Weltbild nach Hopp oder Top differenzieren.

Wenn über jemanden einiges im Netz zu finden ist, scheint das vielfach nicht gut zu sein - wenn aber über eine Person so gut wie nix oder auch gar nix im Netz zu finden ist, dann ist das umgekehrt auch ein Grund für unangemessenes Misstrauen gegenüber dem Kandidaten. Ja, wat denn nu? Ich kann nicht die sozialen Netzwerke verteufeln, aber gleichzeitig erstmal alle Bewerber online durchleuchten und die, wenn mir irgendwas nicht passt, nach meinen beschränkten, übermoralischen Maßstäben beurteilen. Früher hat kein Hahn danach gekräht, wenn auf Familienfeiern oder Betriebsfesten geraucht und/oder Alkohol getrunken wurde - heute drehen manche schon ab, wenn sie jemanden mit Kippe und/oder einem Glas Wein in der Hand sehen und schwingen ihr blödes moralisches Zeigefingerchen. Deutschland versteht sich vielfach leider offenbar als moralischer Nabel der Welt und viele merken gar nicht, wie lächerlich sie sich mit so einem beschränkten, weltfremden Stuss eigentlich machen.

In dem Zusammenhang hat sich mal ein Personaldienstleister schon in seinem Personalfragebogen letztes Jahr ziemlich lächerlich gemacht. Unter dem Punkt "Sozialverhalten" stand zum Ankreuzen Raucher ja/nein. Hm...es war mir neu, dass das Sozialverhalten eines Arbeitnehmers ausschließlich am Status Raucher/Nichtraucher gemessen wird, so nach dem Motto "Wir stellen auch den letzten Asi ein, der nicht mal die einfachsten Benimmregeln beherrscht, aber Hauptsache, derjenige ist Nichtraucher!" Von dem Laden habe ich zum Glück auch nie wieder was gehört, denn so ein beschränktes Weltbild und soviel Vereinfachung passen wiederum  nicht zu meiner offenen Persönlichkeit.

Auch bei seriösen Inhalten, die jemand im Internet veröffentlicht hat, besteht immer ein großer Interpretationsspielraum. Stellen wir uns einmal eine 38-jährige, gut qualifizierte Bewerberin vor, die mit Leib und Seele Sekretärin ist, aber im Internet eine Homepage betreibt, in der sie Tipps für Handarbeiten aller Art gibt, weil sie in ihrer Freizeit gerne strickt, häkelt, näht oder stickt. Manche Personaler würden diese Bewerberin von vornherein aussortieren, weil sie mit Hobbys wie Handarbeiten ein altbackenes Hausmütterchen assoziieren, auch wenn ihr Foto und ihre Zeugnisse eine ganz andere Sprache sprechen. Schwachsinniger geht's echt nicht mehr.

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