Sonntag, 15. Februar 2015

Man kann Menschen auch den Spaß am Lernen verleiden

+Sven Krämer beklagte gestern bzw. heute in einem Blog-Eintrag, dass leider in den Medien viel zu wenig auf seine Interessen eingegangen wird (in dem Fall Naturwissenschaften) und es neuerdings eher um einen moralisch-ethischen Diskurs über alles Mögliche geht anstatt um Bildung. Das fällt mir leider auch negativ auf - viele Massenmedien erweisen sich als Spaßbremsen mit moralischem Zeigefinger (Komasaufen, Ansteckungsgefahr mit Viren auf Rosenmontagszügen und sonstigen Karnevalfeiern, Ernährung...), aber richtig essentielle Dinge, die der Allgemeinbildung dienen, kommen kaum noch. Deshalb kann ich gut verstehen, dass er sehr gerne Beiträge sieht/hört, die von dem Astrophysiker Harald Lesch moderiert werden. Da werden Naturwissenschaften wesentlich anschaulicher und interessanter erklärt anstatt Menschen nur im Sinne der Wissensbulimie mit allem Möglichen vollzustopfen, wie es leider vielfach an Schulen der Fall ist.

Bei meinem E-Check im Jobcenter kam neulich raus, dass ich, was Naturwissenschaften betrifft, eher mäßig bis durchschnittlich begabt bin, was für mich jetzt keine Überraschung war :o), meine Begabungen liegen nun mal eher auf sprachlich-menschlichem Gebiet. Das bedeutet aber nicht, dass mich Naturwissenschaften nicht interessieren - im Gegenteil, wenn eine naturwissenschaftlich orientierte Sendung im Fernsehen gezeigt wird, schaue ich mir diese oft an. Leider hat mir aber die Schule - und da werde ich wohl nicht die Einzige sein - den Spaß an naturwissenschaftlichen Fächern ziemlich verleidet. In der 5. und 6. Klasse hatte ich Physik, wobei ich da sogar mit der Note 2 bis 3 recht gut war, aber ich kann mich nicht mehr an die dort behandelten Themen erinnern. Das liegt vielleicht auch daran, dass alles sehr theoretisch, aber weniger praktisch war. In der 7. Klasse hatte ich dann Chemie, genau wie später in der 9. und 10. Klasse, aber auch da ging es, von einigen Versuchen in der 7. Klasse mit unserer damaligen Lehrerin mal abgesehen, sehr theoretisch zu - manche Lehrkräfte wollten lieber, dass man die gesamte Tabelle mit den einzelnen chemischen Elementen auswendig kennt (Fe für Ferrum = Eisen, NaCl = Natriumchlorid, also Salz, Pb für Plumbum = Chrom usw.), aber der praktische Nutzen kam im Unterricht eigentlich nicht vor. Manche Lehrer verstehen es offenbar, auch aus interessanten Themen eine tödlich langweilige Sache zu machen, denn meine Chemie-Note lag am Ende der gymnasialen Mittelstufe bei einer 4 - zuviel Theorie und trockenes Wissen ist nämlich so gar nix für mich :o).

An der Uni Dortmund, an der ich mein Hauptstudium in Erziehungswissenschaften erfolgreich abgeschlossen habe, hatten wir einen Kommilitonen, der eigentlich Olaf hieß, aber von mir den Spitznamen "Putzi Blödbalg" bekommen hatte :o). Der konnte zwar sämtliche Zitate von bekannten Psychologen, Psychoanalytikern (Freud und C. G. Jung, z. B.) und Soziologen auswendig und konnte sogar exakt sagen, in welchem Buch Freud auf welcher Seite das und das zu einem bestimmten Thema gesagt hat - das ist ja schön, wenn einer Freud aus allen möglichen Quellen zitieren kann, aber leider konnte er das theoretische Wissen nicht in der Praxis anwenden, hihi. In einem sehr praxisorientierten Seminar mit dem Titel "Fallarbeit" war er ebenfalls am Start und nölte dann bei unserer Dozentin rum, dass er mit den Fällen aus der Praxis so gar nix anfangen konnte, denn er brauchte eine konkrete Handlungsanleitung, wie man mit Menschen umgeht *stöhn*. Offenbar hatte sich unserem Super-Theoretiker noch nicht erschlossen, dass es das berühmt-berüchtigte Theorie-Praxis-Problem gibt (dafür war er ja das beste Beispiel...) und Menschen nicht wie ein Koch- oder Backrezept funktionieren, so nach dem Motto "Man nehme 200 g Freud, einen Esslöffel C. G. Jung, eine Prise Soziologie und eine Messerspitze Psychodrama, dann klappt's auch mit dem Klienten." So leicht und gleichförmig funktionieren Menschen aber nun einmal nicht, der Mensch an sich ist in seinem Verhalten, Denken, Fühlen und Handeln wesentlich komplexer als ein Kochrezept. Eine Studienkollegin, die bereits seit dem ersten Semester in Dortmund studierte, hatte mir mal erzählt, dass Putzi Blödbalg seinen Mitstudis in einem Seminar dermaßen auf den Keks gegangen ist, sodass sie ihn mit Papierknüddelchen, Bleiststiften und sogar Zirkeln (!) beworfen haben, aber das puztige Putzi laberte einfach ungerührt weiter :o) - einen Notausschalter, den man ja sonst an Maschinen findet, gab es für ihn offenbar leider nicht.  Ich bin überzeugt davon, dass unser Super-Theoretiker Putzi Blödbalg sein Studium mit Auszeichnung abgeschlossen hat, aber ich bin ebenso überzeugt davon, dass er in der Praxis - also im Umgang mit Menschen - öfter mal sehr schnell an seine Grenzen gestoßen ist, weil Menschen nicht nach Lehrbuch ticken. Manche Klienten können auch sehr wenig mit theorielastigem Gelaber anfangen - die möchten lieber praktische Hilfestellungen anstatt sich dauernd Theorien von Freud, Jung oder wem auch immer anzuhören, denn durch das bloße Zitieren der vorgenannten Herrschaften ist noch keinem Ratsuchenden geholfen worden.

Während meines Studiums habe ich anderthalb Jahre in einer Beratungsstelle für Straffällige und deren Angehörige in Essen-Freisenbruch gearbeitet. Ich glaube, jeder meiner Klienten hätte mir einen Vogel gezeigt, wenn ich mich nicht gemeinsam mit ihm/ihr um seine konkreten Belange wie etwa die Entlassungsvorbereitung (Wohnungs- und Arbeitssuche, Krankenkasse, Bankkonto) und seine persönlichen Baustellen gekümmert hätte, sondern ihn stattdessen mit Theorien zugeföhnt hätte :o). Davon hätte er allerdings weder eine Wohnung noch ein Konto bekommen, haha.

Mathe braucht man ja eigentlich immer wieder im Leben - sei es, dass man beim Einkauf Beträge der gekauften Waren überschlagen muss, Rechnungen auf ihre sachliche und mathematische Richtigkeit prüft usw., aber manche können zwar perfekt Kurvendiskussionen, Algebra, Integralrechnung - also die höhere Mathematik - sind dafür aber nicht in der Lage, die normalen vier Grundrechenarten in der Praxis anzuwenden. Ich hatte früher Fahrschüler, die sich etwas darauf eingebildet haben, Mathe-LK zu haben, die aber trotz LK außer Stande waren, den recht einfachen Doppelbruch Geschwindigkeit : 10 multipliziert mit Geschwindigkeit : 10 zu rechnen, haha. Das finde ich bedenklich, auch wenn diese Zahlen lediglich in den theoretischen Bögen abgefragt wurden, aber es nützt mir ja nix, wenn ich zwar Integralrechnung im Schlaf beherrsche, aber im Alltag heillos damit überfordert bin, beim Einkauf beispielsweise Beträge von 2, 5 und 8 EUR zusammenzurechnen. 

Vorletzte Woche im Assessment Center für die Existenzgründung bestand ein Teil der Tests auch aus alltagspraktischen Matheaufgaben, für die wir auch keinen Taschenrechner benutzen durften, d. h. es war wie früher in der Grundschule schriftliches Rechnen auf einem Extra-Zettel angesagt. Manche sind angesichts der Tatsache, Zahlen ohne Taschenrechner addieren zu müssen oder einen Durchschnitt aus mehreren Zahlen zu bilden, regelrecht verzweifelt ("Kann ich nicht!") - da hatte ich zum Glück weniger Probleme, auch wenn wir keinen Taschenrechner benutzen durften, denn das schriftliche Rechnen ohne Hilfsmittel beherrsche ich bis heute. Deshalb ist mein Mathe-Test auch gut ausgefallen :o).

Unsere BWL-Dozentin, die wir auch im AC hatten, hat uns den Dreisatz richtig gut erklärt - ich hätte mir gewünscht, unsere damalige Mathelehrerin, die ich von der 5. bis zur 7. Klasse hatte, hätte uns den Dreisatz ebenfalls so anschaulich und gut erklärt wie unsere Dozentin in der Weststadt-Akademie, denn in der 7. Klasse stand ich mit dem Dreisatz ziemlich auf Kriegsfuß, wobei ich da aber nicht die Einzige war :o). Unsere Mathelehrerin erklärte nur das Nötigste und wenn eine etwas nicht sofort gerafft hatte, hatte diejenige halt Pech gehabt - deshalb gab es in mehreren Mathearbeiten, die den Dreisatz zum Gegenstand hatten, auch jedesmal mindestens 15 Fünfen und mindestens fünf Sechsen - und das bei damals 33 Schülerinnen in einer Klasse. Natürlich war nicht der schnelle Husch-husch-Unterrichtsstil ohne jedwede nähere Erklärung an diesem schlechten Ergebnis Schuld - nein, unsere Eltern sollten doch dann lieber uns flott machen, weil wir eh alle nur faul waren. Der Mutter meiner Freundin Cola hat eben jene Mathelehrerin geraten, sie solle eine Stoppuhr auf den Schreibtisch ihrer Tochter stellen, wenn die Mathe-Hausaufgaben macht - geholfen war Cola damit aber nicht und schneller bzw. besser wurde sie dadurch in Mathe erst recht nicht.

Eine Schülerin (Nania?) hatte neulich unter Twitter beklagt, dass sie zwar Interpretationen in vier Sprachen schreiben könne, aber dass ihr jedweder Praxisbezug in der Schule fehlt, z. B. in Bezug auf Miete, Versicherungen, Bankwesen etc. Ich kann das gut nachvollziehen, auch wenn ich mittlerweile fast 22 Jahre aus der Schule bin, denn die Schule bereitet nicht gerade auf das Leben vor. Wie sonst ist es zu erklären, dass manche zwar auf dem Abschlusszeugnis von Gymnasium, Gesamtschule oder Realschule eine Zwei in Deutsch haben, aber in Eignungstests bei Firmen so grottenschlecht in Rechtschreib- und Zeichensetzungstests abschneiden? Das liegt wohl daran, dass manche Lehrer nicht mehr auf die Erstellung fehlerfreier Texte achten, sondern Arbeiten in Sprachen aller Art eher danach beurteilen, ob der Schüler auch schön die Meinung der Lehrkraft widergekäut hat - gerne auch mit acht Fehlern in einem Satz, aber das ist ja dann offenbar zweitrangig. 

In einer PowerPoint-Präsentation - Verfasser leider unbekannt - wurde das Problem des Mathe-Unterrichts mal richtig schön zusammengefasst. Früher stand in Textaufgaben beispielsweise "Ein Bauer stellt einen Sack Kartoffeln für 40 DM her und verkauft ihn später für 50 DM. Wie hoch ist der Gewinn?". An solche Textaufgaben kann ich mich auch noch gut erinnern. Die heutige Variante dieser Textaufgabe lautet:

"Ein Bauer stellt einen Sack Kartoffeln für 40 EUR her und verkauft ihn später für 50 EUR. Der Gewinn beträgt 10 EUR. 

Unterstreiche das Wort "Kartoffeln" in der Aufgabe und diskutiere das Ergebnis mit deinem Sitznachbarn - aber bitte ohne Messer, Pistolen und sonstige Waffen." 

Das mag zwar überspitzt klingen :o), aber so ist es heute leider teilweise wirklich, da es ja nach Meinung einiger Helikopter-Eltern ein traumatisches Erlebnis für ihre Kinder ist, wenn sie tatsächlich von 50 EUR 40 abziehen und selbst rechnen müssen, hihi.

Wenn man jetzt ganz böse ist, würde ich sagen, dass selbst die erste Variante, in der der Schüler noch selbst rechnen musste und das Ergebnis nicht vorgesetzt bekam wie in der zweiten Varianten, nicht ganz der Realität entspricht - von den Zahlen ohnehin mal abgesehen. Sicherlich beträgt der Gewinn für den Landwirt 10 EUR, wenn er den Sack Kartoffeln für 40 EUR hergestellt und ihn für 50 EUR verkauft hat, aber korrekt wäre es eigentlich, vom Reingewinn zu sprechen, denn von den 10 EUR Reingewinn gehen 7 % Umsatzsteuer (also 70 Cent), die Miete für den Marktstand (kalkuliere ich jetzt mal fiktiv mit 2,50 EUR) und ggf. noch Personalkosten für einen eventuell notwendigen Erntehelfer ab. Wenn man davon ausgeht, dass der Erntehelfer den gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 EUR bekommt, gehen von den 10 EUR Reingewinn also 8,50 EUR an Personalkosten, 70 Cent Umsatzsteuer und 2,50 EUR Standmiete auf dem Markt ab - dann bliebe sogar noch nicht mal ein Gewinn für den Bauern, sondern sogar ein Minusgeschäft, denn pro Sack wären es 1,70 EUR, die er noch drauf zahlen müsste anstatt einen Gewinn zu erwirtschaften.

Selbst, wenn der Bauer den Sack alleine hergestellt und keinen Erntehelfer beschäftigt hat, der ihm bei der Produktion geholfen hat, gehen von den 10 EUR Reingewinn immer noch, wenn man Standmiete und Umsatzsteuer einrechnet,  immer noch 3,20 EUR ab, d. h. der eigentliche Gewinn nach Abzug der Unkosten betrüge eigentlich 6,80 EUR. Soviel zu Theorie und Praxis.

Mit dem Lernen von Sprachen ist das leider auch nicht soviel anders wie in der Mathematik: Auch da beklagte +Sven Krämer neulich in Bezug auf einen Französisch-Kurs an der VHS, dass der deutsche Dozent ihm zwar die Sprache grammatikalisch korrekt beibringt und eigentlich nur korrigiert, wenn er einen Text vorliest - dass die Belgier und Franzosen in ihrem jeweiligen Heimatland ihn dafür aber problemlos verstehen, zählt da offenbar nicht und das ist ja eigentlich das Wichtigste, dass er sich in einem fremden Land in einer anderen Sprache mit den Einheimischen verständigen kann.

Auch kein Deutscher spricht stets einwandfreies Schriftdeutsch, zumal es ja schon regionale Unterschiede im Deutschen gibt. Hier im Ruhrgebiet sagen wir beispielsweise "Brötchen", würde ich mir aber ein Brötchen zum Frühstück in einer Münchener Bäckerei kaufen, müsste ich da schon "Semmel" sagen, weil Brötchen in Bayern eben halt Semmeln heißen. Ehrlich gesagt: Die Beschreibung "semmelblondes Haar" in Büchern für eine Person mit mittelblondem Haar hört sich ja auch schöner an als "brötchenblondes Haar" :o).

In manchen Gegenden können die Menschen mit dem Wort "Schnitte" als Synonym für Butterbrot nix anfangen - da sind dann vielleicht eben die Wörter Butterbrot, Stulle oder Knifte die Begriffe, die verstanden werden. Und wenn beispielsweise ein Amerikaner oder ein Franzose Deutsch in seinem Heimatland in der Schule gelernt hat oder in einem Privatkurs, wäre er über die Ausdrucksweise "scharfe Schnitte" als Synonym für "hübsches Mädchen" bei Jugendlichen sehr erstaunt, denn vermutlich würde der Amerikaner oder Franzose dann nicht an ein hübsches Mädchen denken, sondern an ein Butterbrot, das beispielsweise mit Chili- oder Peperoni-Paste bestrichen ist, hihi. Jede Sprache hat ihre eigenen Besonderheiten, und das nicht nur regional - das gilt für die deutsche Sprache ebenso wie für die englische/amerikanische, die französische, arabische oder welche Sprache der Welt auch immer. Ich bin beispielsweise überzeugt davon, dass ein gebürtiger Pariser ein etwas anderes Französisch spricht als jemand, der aus Nantes, Marseille oder einem Dorf der Provence kommt. Grammatikalische Korrektheit ist ja bei der schriftlichen Korrespondenz hilfreich - im Umgang mit den Menschen in einem fremden Land kann das aber schwierig werden, weil kein Native Speaker, egal in welchem Land, so spricht, wie man es in einem Kurs oder in der Schule lernen würde.

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