Gestern Abend zappte ich eher zufällig in einen Beitrag zum Märchen Fachkräftemangel in Deutschland im Hessischen Rundfunk - dass dieser Fachkräftemangel tatsächlich ein Märchen ist, wurde anschaulich dargestellt. Den Fachkräftemangel gibt es nicht wirklich, dafür werden aber von der Wirtschaft gerne gut qualifizierte Ausländer ins Land geholt, die dann mit weniger abgespeist werden können als eine einheimische Fachkraft. Dafür können zwar die ausländischen Fachkräfte nix, aber es ist schon augenfällig, wie die vielfach Wirtschaft meint, sich vor gerechter Bezahlung drücken zu können, indem sie deutsches Personal gegen ausländisches austauscht, das verständlicherweise die Tarif- und Gehaltsstrukturen hierzulande nicht kennen kann. Zum Vergleich: Ein deutscher Ingenieur bekommt als Einstiegsgehalt 40.000 EUR p. a., ein ausländischer Ingenieur jedoch nur 36.500 EUR p. a. Nicht, dass 36.500 EUR p. a. ein schlechtes Gehalt wäre, aber im Vergleich zu 40.000 EUR nimmt es sich dann doch wesentlich bescheidener aus.
Im Beitrag kamen eine junge Ingenieurin zu Wort, die nach einem Jahr Arbeit in den Niederlanden hier in Deutschland seit vielen Monaten wieder auf der Straße steht und ein ITler , der viele Jahre freiberuflich für eine deutsche Großbank tätig war, aber irgendwann auch gegen billigere Fachkräfte aus dem Ausland ausgetauscht wurde, sodass er fast zwei Jahre lang keine Anstellung mehr gefunden hat - weder als Festangestellter noch als Freiberufler. Parallel zu seiner Tätigkeit hatte die deutsche Großbank nämlich im Ausland ein Recruiting-Center aufgebaut, um die deutschen Fachkräfte irgendwann gegen ausländische austauschen zu können, weil günstiger.
Um es ganz deutlich zu sagen: Das ist nichts gegen die Ausländer, die hierher kommen, um in Deutschland zu arbeiten, sondern gegen die Wirtschaft, die sich solcher Taschenspielermethoden bedient. Vor dem Hintergrund ist es aber leider vielfach nicht unbedingt unverständlich, dass die Fremdenangst geschürt wird, denn Politik und Wirtschaft schüren mit dieser komischen Methodik, fast alle deutschen Fachkräfte gegen günstigere ausländische auszutauschen, leider den Fremdenhass, vor allem bei Menschen mit mangelnder Differenzierungsfähigkeit. Dann fühlen sich nämlich wieder rechte Gruppierungen und so mancher Stammtisch in ihren Stereotypien bestätigt, die besagen, dass Ausländer den Deutschen die Arbeit wegnehmen. Dem ist zwar nicht so und das ist auch kein Grund, etwas gegen Ausländer zu haben, aber für Gruppierungen mit rechter Gesinnung ist diese leider verbreitete Praxis in der Wirtschaft wieder nur Wasser auf ihre beschränkten Mühlen. Da drängt sich einem der Verdacht auf, dass das wohl so gewollt ist von Politik und Wirtschaft.
Auch Berufsanfänger aller Couleur haben es schwer - egal, ob sie eine Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen haben. Als ich im Oktober 2000 mein Studium erfolgreich abgeschlossen hatte, habe ich mich natürlich auch auf pädagogische Stellen beworben, konnte mich aber öfter mal von irgendwelchen Bürokräften anranzen lassen, dass Berufsanfänger unerwünscht sind, so z. B. von der Schülerhilfe in Bochum. "Nä, Sie können wir nicht nehmen! Wir nehmen keine Berufsanfänger!" Vielen Dank auch für so wenig Benehmen und soviel schlechte Laune :o). Wie sollen junge Leute denn im Beruf Fuß fassen, wenn sie sich von irgendwelchen schlecht gelaunten Handlangern sagen lassen können, dass man sie nicht will, weil sie ja noch nix können? Sorry, im Studium oder in der Ausbildung hat man eigentlich das nötige Handwerkszeug für den jeweiligen Beruf erworben, aber die Berufspraxis bekommt niemand dadurch, dass er nicht eingestellt wird, weil er ja "nur" ein Berufsanfänger ist. In dem Zusammenhang monierte gestern im vorgenannten Beitrag eine Personalberaterin aus Berlin, dass ihr oft bei Arbeitgebern die nötige Bereitschaft zur Einarbeitung neuer Arbeitskräfte fehlt - wo sie Recht hat, hat sie Recht.
Der oben erwähnte ITler verglich das merkwürdige Gebaren der Wirtschaft mit der Autoindustrie. Angenommen, jemand sucht einen gebrauchten VW Golf zum Kauf - davon gibt's in der BRD beispielsweise 20.000 Fahrzeuge. Schränkt der Käufer die Suchkriterien dann z. B. auf die Farbe blau ein, sind es vielleicht nur noch 10.000 Golf, die in Frage kämen und schränkt der Suchende seine Kriterien weiter ein, z. B. auf Breitreifen, Lederausstattung und Anhängerkupplung, bleiben am Ende vielleicht nur noch fünf VW Golf übrig, die in Frage kämen. Da ist es dann natürlich leicht, zu behaupten, in Deutschland gäbe es nicht genug gebrauchte VW Golf zu kaufen. Ähnlich verhält es sich auch mit den Fachkräften - anstatt jemanden zu nehmen, der nur 85 % der geforderten Anfordernungen abdeckt und ihm die Chance zu geben, die fehlenden 15 % im Beruf zu erwerben, fliegt dann jeder potentiell geeignete Bewerber durchs Raster, nur weil irgendein Eckpunkt im Profil fehlt, und dann wird das Märchen vom Fachkräftemangel in die Welt hinaus geheult.
Offenbar scheint es der Wirtschaft vielfach lediglich um Gewinmaximierung auf Kosten von einheimischen Fachkräften zu gehen. Dass es auch anders geht, hat z. B. die Firma Zehnder KG im Schwarzwald bewiesen, denn da kam gestern auch der Geschäftsführer zu Wort. Es geht nicht nur um die Besetzung einer Stelle bzw. die heute vielfach verbreitete Hire and Fire-Mentalität, sondern auch darum, Mitarbeiter durch eine gute Work-Life-Balance, ein gutes Betriebsklima und bestimmte Vergünstigungen (Kantine, Dienstwagen, Fitness-Studio etc.) dauerhaft an sich zu binden.
Manche Menschen arbeiten zwar schon seit Jahren für ein- und denselben Laden, sind aber trotzdem unzufrieden und empfinden ihr Gehalt nicht als Entlohnung für geleistete Arbeit, sondern eher als Schmerzens- oder Schweigegeld. Das kann es irgendwie auch nicht sein bzw. das haben viele Unternehmen noch nicht erkannt. Nur zufriedene Mitarbeiter bleiben dauerhaft, bilden sich von sich aus fort und engagieren sich überdurchschnittlich, aber manche Firmen verfahren eher nach dem Motto "Na und? Dann soll er/sie doch wieder gehen. Draußen warten noch zig andere Arbeitssuchende, die wir dann nach Gutdünken für ein paar Monate verheizen können.".
Dass manche Fachkräfte frustriert sind, kann ich jedenfalls gut verstehen. Ich habe es an meinen ehemaligen Kunden gesehen, was teilweise abgeht, und ich sehe es ja auch bei mir selbst. Ich weiß nicht, wie oft ich schon den Satz gehört habe "Bei Ihrer Qualifikation und Berufserfahrung ist es doch überhaupt kein Problem, eine neue Stelle zu finden..." Jaaaa, von der Quali und der Erfahrung her mache ich mir da eigentlich auch keine Sorgen - ich mache mir aber Sorgen angesichts mancher fragwürdiger Arbeitgeber, die sich so auf dem Arbeitsmarkt tummeln. Wenn ich von mittlerweile 90 Unternehmen, die ich angeschrieben habe, von gut 50 noch nicht mal eine Antwort bekomme oder eine Absage im Stil von "Dich können wir hier nicht gebrauchen." kommt, so als wenn ich der letzte Hiwi wäre, dann kann man sich nur noch Sorgen machen.
Normalerweise müssste man ja in meinem Fall davon ausgehen, dass sich Institutionen um mich reißen, die sich die Betreuung von Arbeitslosen/Arbeitssuchenden auf die Fahnen geschrieben haben, aber auch von diesen Alibi-Organisationen kriege ich vielfach keine Antwort - scheiße, ich weiß einfach zuviel in dem Bereich und halte auch nix von dem Klischee-Gelaber mancher Berater, das besagt "Man nehme eine sündteure Bewerbungsmappe, drei Esslöffel gutes Deutsch, eine Prise Verbiegungsvermögen und graphisch ansprechende Unterlagen, und schon hat man eine neue Stelle!", und das stößt dann solchen Alibi-Institutionen sicherlich sauer auf, dass ich nicht den ganzen Tag nur auf Klischees rumreite und einem Langzeitarbeitslosen womöglich noch sage "Selbst Schuld!". Die schönste Bewerbung nützt dem Arbeitssuchenden nix, wenn er einen unwilligen Vollidioten anschreibt, der lediglich einen Befehlsempfänger und Klischeewiderkäuer, aber keinen qualifizierten Mitarbeiter sucht. Bei einigen Läden hier in Rheinland und Ruhrgebiet haben meine beiden Mitstreiterinnen und ich nachher schon unseren Kunden abgeraten, dorthin überhaupt eine Bewerbung zu verschicken, weil die schon für nicht vorhandenes Benehmen in irgendeiner Form, unterirdische Bezahlung oder ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie, Arbeitsklima usw. bekannt waren.
Unsere Arbeitsministerin Andrea Nahles hatte angeblich noch keine Zeit, sich mit dem Thema "Fachkräftemangel" zu beschäftigen - nee, ist klar, Madame ist ja auch damit beschäftigt, sich von der Wirtschaft die Hucke volllügen oder sich für einen faulen Kompromiss wie den Mindestlohn mit zig Ausnahmen feiern zu lassen.
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