Heute Vormittag klingelte kurz vor halb elf mein Telefon. Als ich mich meldete, hatte ich eine junge Dame von einer Zeitarbeitsfirma aus Bochum dran, deren Name mir zunächst nix sagte. Als sie jedoch behauptete, ich hätte mich dort mal für eine Stelle im Call Center beworben (ich habe mich noch nie auf Stellen im Call Center beworben, aber egal - man kann's ja mal versuchen), klingelte es so allmählich bei mir, mit wem ich es da zu tun hatte.
Letztes Jahr hatte ich einen Tag vor meinem 39. Geburtstag ein Vorstellungsgespräch bei diesem Personaldienstleister unweit des Bochumer Hauptbahnhofs, wobei ich mich dort gar nicht beworben hatte, sondern man über die Jobbörse der Arbeitsagentur auf mich aufmerksam geworden war. Die Stelle selbst war ja gar nicht uninteressant, denn ich hätte Messekunden zu technischen Gegebenheiten in englischer Sprache beraten sollen, aber die Konditionen waren unter aller Sau - 9 EUR/Std. sollte ich für eine anspruchsvolle technische Beratungstätigkeit in englischer Sprache erhalten, kein Fahrtkostenzuschuss, keine Verpflegungsmehraufwendungen, kein Nichts zusätzlich. Danach hatte sich das Ganze für mich erledigt, denn ich war schon bei einigen Zeitarbeitsfirmen beschäftigt, die weit mehr als 9 EUR Stundenlohn gezahlt haben und bei denen noch zusätzlich Fahrkostenzuschüsse und Verpflegungsmehraufwendungen gezahlt wurden.
Als ich im Dezember 2000 bei einer Zeitarbeitsfirma meine Berufslaufbahn startete und ja nach acht Monaten vom Entleiher auch in ein festes, wesentlich besser dotiertes Arbeitsverhältnis übernommen wurde, hat mir der damalige Personaldienstleister ja schon 10 EUR/Std. gezahlt - plus Fahrtkostenzuschuss und Verpflegungsmehraufwendungen! Dass ich als berufserfahrene Kraft weit weniger verdienen sollte wie als Berufsanfängerin, ist ja schon der blanke Hohn, aber wie gesagt: Man kann's ja mal versuchen - leider gibt es ja genug Menschen, die sich mit nem Hungerlohn abspeisen lassen und dann noch rumheulen, dass sie noch Hartz IV trotz einer Vollzeitbeschäftigung dazu beantragen müssen. Sorry, dann doch lieber direkt "Nein" sagen anstatt solchen Ausbeutern noch in die Hände zu spielen und seine Seele an den Teufel zu verkaufen.
Im Übrigen hatte die ursprüngliche Stelle vom letzten Jahr für mich nix mit Call Center zu tun, denn da hätten sich ja Firmenkunden an mich mit ihren Fragen gewandt und ich hätte niemandem irgendwelche fragwürdigen Abos, Wellensittichberufsunfähigkeitsversicherungen oder Finanzdienstleistungen aufgeschwatzt, aber dieses Abstraktionsvermögen fehlte der Dame offenbar, denn sonst hätte sie mir wohl kaum ne Stelle im Call Center angeboten, wo ich ohnehin nicht arbeiten wollte. Zum Sekretariat gehört zwar der Telefondienst dazu, aber das ist bei weitem was anderes als ein reiner Call Center-Job. Wer lesen und denken kann, ist also klar im Vorteil.
Wie gesagt: Bei meinen letzten beiden Personaldienstleistern habe ich mindestens 13 EUR/Std. verdient, wobei da noch Fahrtkostenzuschuss und Verpflegungsmehraufwendungen dazu kamen. Das ist zwar auch nicht die Welt, aber davon konnte ich ganz gut leben. Den Zeitarbeitsfirmen ist es aber in der Regel egal, ob der Arbeitnehmer von seinem Gehalt leben kann - das ist doch nicht deren Problem, wenn manche sich immer noch mit dem Satz "Dann beantragen Sie doch noch ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt dazu." ruhig stellen und auf Stellen mit Dumping-Löhnen vermitteln lassen.
Das mit der Zeitarbeit ist abgesehen von manch grottigem Stundenlohn, den einige Dienstleister anbieten, ohnehin so eine Sache: Viele Leiharbeiter hoffen, dass sie irgendwann vom Entleiher fest übernommen werden - das mag in Einzelfällen sicherlich auch noch zutreffen, aber meist werden die Zeitarbeiter gerne verheizt und dann, wenn die Nase nicht mehr passt oder es um eine Festübernahme geht, gerne gegen den nächsten Arbeitssklaven ausgetauscht. Die Entleihbetriebe sparen sich durch die Praxis nämlich die Kosten für die Sozialversicherung, denn dafür kommt ja im konkreten Fall dann das Zeitarbeitsunternehmen auf. Merkwürdig...wenn ich jemanden fest anstelle, schließe ich mit dem einen Arbeitsvertrag, der eine in der Regel sechsmonatige Probezeit beinhaltet, und wenn Arbeitnehmer und/oder Arbeitgeber innerhalb dieser Frist feststellen, dass es aus etwaigen Gründen nicht passt, kann man sich wieder trennen. Das hat ja früher auch funktioniert, aber viele Firmen neigen heute dazu, ihre Stammbelegschaft klein zu halten und lieber mit Zeitarbeitern zu hantieren, die sie beliebig austauschen können - und die Sozialabgaben können sie sich auch noch direkt sparen, weil das ja, wie gesagt, der Personaldienstleister übernimmt, bei dem der Leiharbeitnehmer angestellt ist.
Manche Menschen gehen zur Zeitarbeit in der Hoffnung, irgendwann fest übernommen zu werden und wollen damit auch ihre Flexiblität unter Beweis stellen, die ja von Arbeitgebern so oft und gerne gefordert wird. Leider werden aber Bewerber, die sich aus der Zeitarbeit heraus auf eine Festanstellung bewerben, vielfach eher skeptisch betrachtet, denn dann fragt sich mancher Personalverantwortliche - oder das, was sich so nennen darf: "Hmm...mit ihm/ihr kann doch was nicht stimmen. Wieso immer nur Zeitarbeit? Ist das ein Jobhopper? Warum wurde er/sie nicht fest übernommen?" Es wird also eher alles dafür getan, den Leiharbeitnehmer in einem schlechten Licht da stehen zu lassen - da bemühen manche Firmen gerne die volle Bandbreite der Klischeekiste. Kein Leiharbeiter kann was dafür, wenn die Übernahmeoption nur ein Lippenbekenntnis ist oder wenn der Einsatz ohnehin nur auf eine Urlaubs-, Krankheits- oder Schwangerschaftsvertretung begrenzt ist. Die Frage nach der Seriosität mancher Entleihfirmen stellen sich viele Personaler leider nicht - wenn, ist es immer nur der böse Arbeitnehmer, der Schuld an allem hat und mit dem irgendwas nicht stimmen kann.
Von Kurzeinsätzen von maximal einem Monat Dauer würde ich ohnehin abraten. Der Vertrag mit einem Zeitarbeitsunternehmen wird zwar in der Regel unbefristet geschlossen, aber wenn Euer Kurzeinsatz ausläuft und man anschließend nix Neues für Euch hat, steht Ihr nach spätestens vier Wochen Nichteinsatz wieder auf der Straße, denn dann bringt Ihr der Zeitarbeitsfirma ja nix - im Gegenteil, die müssen dann für Euch zahlen, auch wenn Euer Nichteinsatz unverschuldet ist. Dem Zeitarbeitsunternehmen ist es wie gesagt egal, ob Ihr von Eurem Lohn leben könnt oder ob Ihr nach sechs Wochen bei der Arbeitsagentur einen Antrag auf Wiederbewilligung von Arbeitslosgengeld stellen könnt - Hauptsache, Ihr seid vermittelt und was danach mit Euch wird, ist in der Regel egal. Vor dem Hintergrund verwundert es jedenfalls nicht, dass Zeitarbeitsfirmen nach wie vor so ein schlechtes Image in Deutschland genießen. Arbeit nützt nämlich gar nix, wenn Ihr von Eurem Gehalt nicht leben könnt und man lediglich versuchen will, Eure Notlage - also die Arbeitslosigkeit - auszunutzen.
Ich kann verstehen, wenn Leiharbeiter frustriert sind angesichts einer grottigen Bezahlung, aber umgekehrt frage ich mich immer: Warum habt Ihr den Vertrag dort zu den Konditionen unterschrieben? Angenommen, Ihr habt vorher 950 EUR ALG I gehabt und verdient jetzt netto 960 EUR: Dann hat Euch dieser Vertrag gar nix gebracht, weder Eurem Selbstwertgefühl noch Eurem Portemonnaie. Bevor ich meine Unterschrift unter einen Vertrag setze, rechne ich doch erst mal anstatt nachher Hinz und Kunz die Ohren vollzuheulen, wie schlecht Zeitarbeitsfirma XY zahlt - wenn Ihr einen Kaufvertrag für ein Auto unterschreibt, prüft Ihr den Pkw und etwaige Garantieleistungen doch auch erst anstatt erst das Auto unbesehen zu kaufen und dann rumzuheulen, dass der Keilriemen im Eimer ist, die Reifen abgefahren sind usw. Hinterher kann man immer rumheulen - vorher denken und auch mal "Nein" sagen bei fragwürdigen Angeboten, ist weitaus zielführender.
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