Es finden sich sowohl im Internet als auch in manchen Printmedien endlose Klagelieder von Unternehmen über ihre Bewerber - der Eine hat während des ganzen Vorstellungsgesprächs den Motorradhelm nicht abgenommen (warum sollte der Arbeitgeber auch wissen, wie ich ohne Helm aussehe?), der Andere war Bilanzbuchhalter und outete sich direkt mal im Vorstellungsgespräch als überschuldet (spricht für jemanden, der im Finanzwesen arbeiten will...), der Dritte buchte mal eben vom Geschäftsanschluss des Unternehmens seinen Jahresurlaub, während sein Gesprächspartner kurz das Zimmer verließ usw. Das ist sicherlich sehr ärgerlich und ich habe bei Oscar Winzen, als wir damals noch eine zweite Kraft für Essen suchten, auch schon eine Menge merkwürdiger Bewerberinnen kennen lernen dürfen. Von "Ohne meinen Mann gehe ich nirgendwo hin - auch nicht zur Arbeit!" bis hin zu "Ich erscheine sicherheitshalber gar nicht zum Gespräch und bin auch nicht mehr für das Unternehmen erreichbar, denn es könnte Arbeit drohen." war auch da alles dabei. Solche merkwürdigen Bewerber werden natürlich gerne von der Journaille aufgegriffen, damit wenigstens das Klischee vom arbeitsscheuen ALG I- oder Hartz IV-Bezieher aufrecht erhalten werden kann, aber leider gibt es nie Berichte über die Gegenseite, d. h. das bisweilen merkwürdige Benehmen mancher Firmen gegenüber ihren Bewerbern. Das fängt mit schlecht geschriebenen, abwertenden Standard-Absagen an und endet mit schlecht gelaunten Personalchefs, die das Wort "Benehmen" vermutlich nicht mal richtig buchstabieren können, haha.
Dass es merkwürdige Bewerber gibt, streite ich gar nicht ab - siehe oben - aber wenn ein Unternehmen beispielsweise 100 Bewerbungen auf eine Stelle bekommt und dann ausgerechnet die wirklich faulen, schlecht qualifizierten Schmarotzer einlädt, die sich lieber ihr Leben bequem mit Hartz IV oder ALG I einrichten, dann stimmt irgendwas nicht bei der Vorauswahl, würde ich sagen. Mir kann keiner erzählen, dass unter 100 Bewerbern wirklich nur 100 arbeitsscheue Schwachköpfe sind und keine gescheiten Kandidaten, die mehr als ausreichend qualifiziert sind und die über adäquates Benehmen verfügen. Dann stimmt wohl was bei der Personalvorauswahl nicht, wenn das Unternehmen beispielsweise von 100 Bewerbern 25 zu einem Gespräch einlädt und sich bei allen 25 Kandidaten über nicht vorhandenes Benehmen, Nichterscheinen oder wesentliche Verspätungen ohne jedwede Erklärung beschweren muss. Vor Beschwerden über angeblich faule, schlecht qualifizierte und blöde Bewerber erst mal die eigene Personalauswahl und das eigene Verhalten gegenüber Bewerbern überdenken anstatt jede Verantwortung von sich zu weisen und dann in allen Medien rumzuheulen, dass es angeblich keine gescheiten Kandidaten auf dem Markt gibt. Tja, wie gehen denn manche Unternehmen mit gescheiten Kandidaten um? Entweder kommt gar keine Antwort oder eine so bescheuerte Absage, dass man eher am Verstand desjenigen zweifeln darf, der die Absage geschrieben und verschickt hat. Ich kann nämlich mittlerweile keine Absagen mehr lesen, die Textteile beinhalten wie "Leider können wir Sie nicht weiter berücksichtigen. Bitte sehen Sie dies nicht als Wertung Ihrer fachlichen und persönlichen Qualifikationen." oder "Ihre Qualifikation ist unbestritten, aber bitte haben Sie Verständnis dafür, dass bei der Vielzahl von Bewerbungen oft nur Details entscheiden.". Das hat nix mit geistiger Eigenleistung zu tun, sondern nur mit dem Widerkäuen von Klischees aufgrund der eigenen Einfallslosigkeit.
Wenn ich als Unternehmen natürlich nicht mehr schaue, ob jemand für die Stelle wirklich geeignet ist, sondern die Bewerbungen danach beurteile, ob ich jemanden mit nem Hungerlohn abspeisen kann, wundert es auch nicht, dass solche Firmen dann bei ihren Vorstellungsgesprächen fast nur Schrott bekommen - wer nicht bereit ist, zu investieren, muss sich auch nicht wundern, wenn er nur den Schrott bekommt, der nicht viel wert ist und das dann auch durch unangemessenes Benehmen und Desinteresse im Gespräch unterstreicht. Ich will zwar nicht sagen, dass jemand, der gut vergütet wird, grundsätzlich besser ist als jemand, der ein unterdurchschnittliches Gehalt bekommt, aber bei jemandem, der sich mit 5 EUR Stundenlohn abspeisen lässt und meint, er kann ja noch Hartz IV dazu beantragen, von dem ist in aller Regel wirklich nicht viel zu erwarten, so oder so nicht.
Natürlich gibt es auch immer wieder die Kandidaten, die zwar einen angemessenen Lohn bekommen, aber die trotzdem nicht bereit sind, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, aber von Einzelfällen auf die Allgemeinheit zu schließen und Arbeitslose grundsätzlich für faul zu halten, ist sehr kurz gedacht. Nee, stattdessen werden dann lieber die gescheiten Kandidaten abgewatscht, weil das Unternehmen befürchtet, dem- oder derjenigen auch nur 100 EUR zuviel im Monat zahlen zu müssen. Da könnten ja den überbezahlten Vorständen auch ein paar EUR durch die Lappen gehen...das ist natürlich einfach, selbst ein fünfstelliges Monatsgehalt zu erzielen und die eigenen Angestellten mit dem Mindestlohn abspeisen zu wollen.
Meine frühere Kollegin Andrea ist promovierte Historikerin - hat also einen Doktortitel in Geschichte; das nur als Hinweis für alle, die eine Promotion mit Promotion im Sinne von Werbung verwechseln :o) - und war zehn Jahre bei einer Unternehmensberatung in leitender Position, bevor ihre Stelle wegfiel und sie arbeitslos wurde. Nach einem Jahr ALG I folgte Hartz IV und da kann wohl nicht von unterdurchschnittlicher Qualifikation und Berufserfahrung die Rede sein. Sie hat dann bei uns als Jobsearcherin angefangen, obwohl uns eigentlich klar war, dass sie für diese Stelle überqualifiziert ist, aber sie hatte erst mal wieder den Einstieg und hat über ihre Position als Jobsearcherin schließlich eine viel besser vergütete Stelle in einer Fachbibliothek gefunden, wo sie auch heute noch beschäftigt und m. W. sehr zufrieden ist. Vor dem Hintergrund einer solchen Geschichte ist der vermeintliche Fachkräftemangel jedenfalls ein Witz - und ich sehe es ja auch bei mir selbst, dass ich trotz entsprechender Qualifikation und Berufserfahrung Schwierigkeiten habe, eine neue Stelle zu finden, aber bei den vielen "netten und sympathischen" Firmen, die so unterwegs sind und lieber eine schlecht bezahlte Anlernkraft nehmen anstatt einer angemessen vergüteten Fachkraft, wundert mich auch das mittlerweile nicht mehr. Dann sollen Politik und Wirtschaft aber auch bitte mit ihrer Heulerei aufhören, dass es keine gescheiten Arbeitskräfte gibt - anders kriegen die aber ihre Politik vom Dumping-Lohn wohl nicht mehr gerechtfertigt und es gibt ja noch genug Dumme, die denen auch noch ihre Stimme geben und denen alles glauben, was man ihnen vorlügt.
Tja, und dann gibt es bei allem Elend in manchen Firmen auch wirklich die ganz Unverbesserlichen, die gar nicht wirklich arbeiten möchten, sondern nur einen Stempel wollen, dass sie sich irgendwo beworben haben - auch wenn sie bei dem Gedanken daran, einem Job nachzugehen, Bauchschmerzen bekommen. Das war wohl der Fall bei einer Firma, bei der ich mal drei Monate über einen Personaldienstleister beschäftigt war - da sind dann zig Arbeitslose beim Pförtner aufgeschlagen, um sich bescheinigen zu lassen, dass sie dort vorgesprochen haben, um keinen Ärger mit Arbeitsagentur oder Job-Center zu bekommen. Mein Chef hat das natürlich rundweg abgelehnt, denn sowas spräche sich dann rasend schnell bei den arbeitsscheuen Schmarotzern rum, die es zweifelsohne auch gibt. Am ersten Tag wollen drei einen Stempel, in der nächsten Woche dann zehn...auf jeden Fall bringen solche Subjekte dann auch die ehrlichen Arbeitssuchenden in Verruf.
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