Offenbar scheint es heute vollkommen normal zu sein, aus Mücken Elefanten zu machen. Anders kann es ja nicht zu erklären sein, dass überbesorgte Eltern auf allen möglichen Kanälen rumheulen, weil ihre Kinder in überfüllte Schulbusse steigen müssen und der ADAC dann noch schön mitmacht, weil Kinder in vollen Schulbussen ihren Bewegungsdrang nicht ausleben können *stöhn*. Sonst geht's aber noch, oder? Normalerweise sollte es ja möglich sein, mal für 30 Minuten ruhig zu stehen, wenn kein Sitzplatz mehr zu bekommen ist, aber das kann man den Kindern heute offenbar nicht mehr zumuten.
Ich habe neun Jahre lang das B. M. V-Gymnasium in Essen-Holsterhausen besucht und bin dort nicht mit einem Schulbus hingekommen, sondern immer mit der EVAG von Schönebeck nach Holsterhausen gefahren - und das galt für viele andere Schülerinnen auch. Wenn ein Kind chronisch krank oder körperlich behindert ist, habe ich Verständnis dafür, wenn sie mit dem Auto zur Schule gebracht und wieder abgeholt werden, aber heute ist das ja traurige Normalität, dass jedes Kind vor dem Schultor, am besten noch im Klassenzimmer, abgesetzt wird, auch wenn die Schule nur 300 oder 400 m entfernt liegt - wild parkende Eltern verursachen vor Schulen jedenfalls mehr Chaos als die Kinder selbst. Ja, was an Kinder auf dem Schulweg alles dran kommen könnte - sie könnten in Pfützen ertrinken bei Regenwetter, im Schnee ersticken und Frostbeulen bekommen im Winter, ein Kinderschänder könnte sie wegklauen, bei Sturm könnte ihnen ein Dachziegel auf den Kopf fallen...sorry, das ganze Leben ist ein Risiko und das beginnt schon morgens beim Aufstehen, denn schließlich könnte das Kind sich beim Frühstück mit einem Heißgetränk verbrühen, im Badezimmer auf nassen Bodenfliesen ausrutschen und sich den Schädel brechen, beim Anziehen der Hose stolpern und in eine Vitrine krachen...selbst der Aufenthalt im Bett selbst ist ja streng genommen schon gefährlich, denn das arme Kind könnte ja nachts raus auf den Boden fallen und sich weh tun. Sonst geht's aber noch?!
Natürlich wurden meine Freundinnen und ich auch mal mit dem Auto gebracht bzw. wieder abgeholt, aber die Regel war das nicht, denn dafür hatten wir ja das Monatsticket der EVAG. Selbstverständlich war es kein Spaß, sich in einen überfüllten 160 zu quetschen, wenn wir alle um 13.30 Uhr Schule aus hatten und dann noch viele Schüler von weiteren Schulen (Schulzentrum am Stoppenberg, weiterführende Schulen in Rüttenscheid) bereits im Bus saßen, aber mit ein bisschen Vernunft und gesundem Menschenverstand ging auch das ganz gut, obwohl der Bus pickepackevoll war. Als Cola und ich älter wurden, haben wir sogar Fünft- oder Sechstklässlerinnen mal auf den Schoß genommen, wenn wir das Glück hatten, noch einen Sitzplatz in dem überfüllten Bus Richtung Borbeck zu bekommen. Unsere Eltern haben damals auch nicht in den Medien rumgeheult, weil wir mindestens einmal pro Woche mit einem überfüllten Bus von der Schule kamen, aber heute wird ja um jeden Mückenschiss ein Geschiss gemacht, dass es schon nicht mehr feierlich ist.
Einmal hatte ich an einem Freitag im Februar 1991 auch um 13.30 Uhr Schule aus und ursprünglich wollte mich mein Papa mit dem Auto abholen, da er schon Feierabend hatte, aber zwischenzeitlich hatte massives Schneegestöber eingesetzt, sodass Essen in kürzester Zeit in eine Winterlandschaft verwandelt wurde und ich mir schon denken konnte, dass mein Papa nicht mit dem Auto kommt. Natürlich waren Bus und Bahn am Landgericht hoffnungslos überfüllt bzw. der 160 Richtung Borbeck kam zunächst gar nicht, sodass ich dann lieber mit der 106 Richtung Helenenstraße gefahren bin, wobei die natürlich auch überfüllt war. Normalerweise brauchte die 106 vom Landgericht bis zur Helenenstraße 12 Minuten, an dem Tag waren es jedoch über 20 - kein Wunder bei dem Winterwetter. Die 103, die sich von der Innenstadt Richtung Helenenstraße quälte, war ebenfalls hoffnungslos überfüllt und ich wollte jetzt auch nicht riskieren, auf die 104 oder 105 zu warten, denn einige Straßenbahnen kamen in Essen schon gar nicht mehr durch, also habe ich die 103 genommen. Allerdings bin ich nicht wie sonst am Fliegenbusch ausgestiegen, sondern am Bahnhof Borbeck-Süd, denn die Bahn schaffte kaum noch die Steigung hoch zum Haltepunkt Borbeck-Süd und kam auch kaum vom Fleck auf ihrer Weiterfahrt Richtung Fliegenbusch, also war es schon ganz gut, dass ich vorher ausgestiegen und über Riekenbank, Dreigarbenfeld und Op de Heie nach Hause gelaufen bin. Ein Schulweg von sonst gut 40 - 50 Minuten dauerte diesmal weit über 90, aber einmal im Jahr sollte man das wohl auch als Schüler aushalten können, ebenso wie volle Busse und Bahnen. Es hat mich jedenfalls nicht umgebracht, dass ich gut 600 m durch knietiefen Schnee waten musste :o).
Linie 103 im Jahr 1991 auf der Dellwiger Straße - (c) Detlef Kettner, bkcw-Bahnbilder.de
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