Das Kreuz ist ja bekanntermaßen ein christliches Symbol - und trotzdem fühlen sich gerade Kinder von diesem Symbol des Leiden und Auferstehen Christi ziemlich geängstigt, egal, ob eine Jesus-Figur dran hängt oder nicht. Meine Oma hatte in ihrem Schlafzimmer in ihrem Haus im Herskamp ein großes Kreuz mit Jesus-Figur über dem Bett hängen, denn dieses Kreuz hatte mein Opa Anfang der 60er Jahre von der KAB geschenkt bekommen, deren Vorsitzender er lange Jahre war. Auch für mich war es gerade mit drei Jahren nicht angenehm, unter dem Kreuz mit dem sichtlich leidenden Jesus zu schlafen - erst, als meine Eltern mir erklärt hatten, wer der Mann am Kreuz ist und warum er gekreuzigt wurde, hat sich diese Angst gebessert.
Soweit ich weiß, hängt das Kreuz bis heute an gleicher Stelle - mein Onkel und meine Tante, die jetzt in dem Haus wohnen, haben dort zwar nicht ihr Schlafzimmer, aber mein Onkel hat darauf bestanden, dass es hängen bleibt, weil es einfach zu diesem Haus gehört, denn meine Tante wollte es wohl mal vor Jahren abnehmen.
Gerade im Dekanat Borbeck findet man sehr viele Wegekreuze und das nicht nur auf Friedhöfen - eins steht auf der Ecke Reuenberg/Kraienbruch in Gerschede/Dellwig, ein weiteres am Weidkamp, und zwar an der Stelle, an der die Straße Am Ellenbogen abzweigt, eins in Dellwig am Eingang zur Grünfläche neben dem Friedhof, ein weiteres auf der Gabelung Germaniastraße/Gerichtsstraße in Borbeck-Mitte und noch eins auf der Ecke Möllhoven/Flurstraße in Borbeck.
Kreuz auf der Ecke Möllhoven/Flurstraße - (c) unitas-ruhrania.org
Ich bin zwar katholisch und habe auch mein Abi an einer katholischen Mädchenschule abgelegt, aber manches wirkt leider, obwohl Religion ja Trost, Halt und Hoffnung spenden soll, wirklich ziemlich unheimlich. Selbst manche katholische Kirche wirkt bisweilen von innen unheimlich - und das, obwohl es ja ein Gotteshaus ist, in dem die Menschen sich wohlfühlen sollen anstatt sich von der bedrückenden Atmosphäre erschlagen zu fühlen.
Auch an St. Michael im Kraienbruch/Langhölterweg steht ein Kreuz, um an die Opfer beider Weltkriege im 20. Jahrhundert zu erinnern und auch, um die Menschen zu mahnen, dass es nie wieder soweit kommen darf.
Kreuz vor St. Michael - (c) Alexandra Döll, Essen
Direkt an das Philippusstift in Essen-Borbeck, bei dem es sich ja um ein katholisches Krankenhaus handelt, grenzt der katholische Friedhof St. Dionysius an, denn der Borbecker Dom liegt ja sozusagen direkt hinterm Krankenhausgelände, wenn man die Hülsmannstraße in Richtung Germaniaplatz befährt. Es hat schon fast etwas Makaberes, dass der Friedhof direkt neben dem Krankenhaus liegt, wobei dies sicherlich auch der Nähe zum Borbecker Dom geschuldet ist. Auch auf dem Friedhof selbst steht ein Kreuz mitten zwischen den Gräbern - auf Friedhöfen ist das allerdings häufiger üblich (Terrassenfriedhof und katholischer Friedhof in Schönebeck, katholischer Friedhof an der Dachstraße in Borbeck, Friedhof St. Michael in Dellwig).
(c) Alexandra Döll, Essen
Auch das Philippusstift selbst hat eine bisweilen unheimliche Atmosphäre. Zuerst dachte ich, nur ich würde das so empfinden, weil mein Opa 1975 in diesem Krankenhaus an Krebs gestorben ist und weil es sich um ein altes Krankenhaus handelt, aber auch Renate, die aus Düsseldorf stammt, und bei der kein Angehöriger im Philipp verstorben ist, findet die Atmosphäre dort ziemlich bedrückend, wenn sie mich mal dort besucht hat, wenn mein Rheuma in irgendeiner Form einen stationären Aufenthalt dort notwendig machte. Die Eingangshalle ist ja modern und freundlich und auch die medizinischen Geräte sind auf dem neuesten Stand, aber sobald man mit seinem Bett in einen der Seitengänge im Erdgeschoss geschoben wird, um dort auf eine Untersuchung zu warten, fühlt man sich wieder wie in einer überdimensionierten Totenhalle.
Altbau Philippusstift - (c) Alexandra Döll, Essen
Als ich im Juni 2011 nach einer TIA für eine Woche im Philipp lag und, nachdem ich von der Stroke Unit auf ein normales Zimmer der Station B2 verlegt worden war, öfter eine rauchen ging, lernte ich gerade beim Rauchen natürlich viele Mitpatienten kennen, auch von anderen Stationen. Eine davon war eine reizende ältere Dame, die an Schizophrenie litt, aber in dem Fall wegen Magenproblemen im Krankenhaus lag. Ihre Krankheit war medikamentös gut eingestellt, aber trotzdem ging eine Angst nicht weg: Die Angst vor dem Sensenmann, den sie in diesem Krankenhaus an jeder Ecke vermutete - ich konnte es ihr nicht einmal verdenken angesichts der bedrückenden Atmosphäre im Philipp.
Da sie halt Angst vor dem Sensenmann hatte, obwohl sie nicht lebensbedrohlich erkrankt war, hat sie immer jemanden gebeten, sie hinauf in ihr Zimmer auf der Station B3 zu begleiten. An einem Samstagabend habe ich diese Aufgabe auf ihre Bitte hin übernommen. Schon als wir um die zweite Kurve bogen und auf den langen, unheimlichen Säulengang im Erdgeschoss kamen, merkte ich, dass sie erstarrte - offenbar hatte sie den Tod wieder irgendwo gesehen. Das sagte sie mir auch, denn sie deutete in eine Ecke und stammelte: "Da ist er!" - Natürlich war da niemand, aber bei jemandem, der an Wahnvorstellungen leidet, hat es wenig Zweck, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen, denn ein Kennzeichen des Wahns und der Halluzinationen ist, dass jemand unkorrigierbar von seiner Wahrnehmung überzeugt ist - da habe ich einfach "mitgespielt" und sie beruhigt, indem ich zu ihr gesagt habe: "Der tut uns nichts! Sehen Sie, ich habe dem Tod jetzt mal ne Pause verordnet, er isst gerade ein Butterbrot!" Das hat genügt, denn sie lächelte, weil ich sie offenbar davon überzeugen konnte, dass der Tod es nicht auf sie bzw. uns abgesehen hatte, und ich konnte sie problemlos hinauf auf ihre Station in ihr Zimmer bringen, bevor ich selbst runter auf die B2 in mein Zimmer gegangen bin.
Philippusstift an der Hülsmannstraße - (c) bbw.de
Außenstehenden mag das jetzt etwas komisch vorkommen, aber wie gesagt: Es hat keinen Zweck, mit einem Schizophrenie-Patienten über seine Wahnvorstellungen oder Halluzinationen zu diskutieren ("Da ist keiner!", "Das bilden Sie sich nur ein!"), weil er unkorrigierbar davon überzeugt ist. Besser ist es in solchen Fällen, angemessen darauf einzugehen anstatt dem Betroffenen das Gefühl zu geben, man nehme ihn nicht für voll.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen